Grappa dreht durch
öffnete die Tür, und wir traten ein. Die Luft war stickig. Ich öffnete die Lüftung. Unter mir fuhren Züge in den Hauptbahnhof ein. Selbst von der fünften Etage dieses Hauses sahen sie nach Modelleisenbahn aus.
Ich beschloß, Brinkhoff die Wahrheit zu sagen.
»Fragen Sie!« begann ich.
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»Wann haben Sie Frau Ritzenbaum zum letzten Mal gesehen?«
»Gestern abend, kurz vor 21 Uhr.«
»Herr Boss sagte, daß alle das Büro gegen 19 Uhr verlassen haben!«
»Das könnte sein. Aber ich bin noch einmal zurückgekommen.«
»Warum?« Er bekam wache Augen und zückte seinen Notizblock.
»Ich war mit Herrn Zech, einem Kollegen, zum Essen verabredet. Als ich im Restaurant saß und wartete, kam ein Anruf. Es war Zech. Er behauptete, jemand habe ihn in sein Büro eingeschlossen, und bat mich, ihn zu befreien.«
»Warum hat er nicht den Pförtner im Parterre angerufen?«
Gute Frage, dachte ich, die Pforte war Tag und Nacht besetzt und telefonisch rund um die Uhr erreichbar. »Ich weiß nicht. Fragen Sie Herrn Zech. Auf jeden Fall bin ich ins Büro gefahren, um nach ihm zu sehen. Der Pförtner hat mich gesehen. Er trägt jeden Besucher in ein großes Buch ein. Ich war vor 21 Uhr im Haus und habe die Tür aufgeschlossen. Es schien alles ruhig zu sein. Dann habe ich aus dem Zimmer von Herrn Boss einen Lichtschein gesehen.«
Ich machte eine Pause. Das, was ich gleich sagen würde, hätte für Zech schlimme Konsequenzen. Doch ich hatte schon zuviel erzählt, um noch umkehren zu können.
»Sie haben ins Zimmer geguckt, oder?« Brinkhoff war ganz Ohr.
»Ja. Ich sah, wie zwei Leute ... Frau Ritzenbaum lag auf dem Schreibtisch wie ein Käfer auf dem Rücken und ruderte mit den Beinen. Davor ein Mann, der sie ... na ja, Sie wissen schon!«
»Mit ihr den Geschlechtsverkehr ausführte«, vervollständigte er meinen Satz. »Hatten Sie den Eindruck, daß er sie vergewaltigt hat?«
»Nein, sie hatte ihren Spaß dabei.«
»Wieso sind Sie da so sicher?«
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»Glauben Sie mir, sie wurde nicht vergewaltigt.« Brinkhoff notierte. »Und was war dann? Hat er ihr den Hals zugedrückt?«
»Ich weiß nicht, was dann geschehen ist. Ich habe die Tür leise wieder zu gemacht und bin gegangen. Ich wollte nicht stören. Auf dem Flur hörte ich beide noch lustvoll stöhnen. Das ist alles!«
»Haben Sie den Mann erkannt?«
»Ich dachte, daß es Zech sei.«
»Wieso sind Sie da so sicher? Nach Ihrer Schilderung haben Sie den Mann doch nur von hinten gesehen.«
Ich stockte. Warum war ich so sicher gewesen?
»Kennen Sie das unbekleidete Hinterteil des Herrn Zech vielleicht näher?«
»Nein, natürlich nicht. Aber es war ein junger Männerhintern!«
»Wodurch unterscheidet sich ein junger von einem alten Männerhintern?« wollte Brinkhoff wissen.
»Durch die Festigkeit des Gewebes und die Gesamtform.«
Brinkhoff nickte bedächtig. Dann fragte er: »War der Mann groß? Hatte er O-Beine? Können Sie was zu seiner Frisur sagen?«
»Groß war er schon, auf die Form der Beine und auf die Frisur habe ich nicht geachtet. Schließlich war es halbdunkel in dem Zimmer.«
»Schön, daß Ihnen wenigstens der Hintern in Erinnerung geblieben ist!« grinste er. »Schauen Sie bei Männern immer zuerst auf diesen Körperteil?«
»Natürlich tue ich das! Nichts kann erschreckender sein, als Männern ins Gesicht zu blicken.«
Sein Grinsen vertiefte sich. »Dann muß Herr Zech ja nur noch die Hosen ausziehen! Wir haben ihn vorsorglich schon mal festgenommen. Interessant ist, daß er uns das gleiche erzählt hat, wie Sie. Er sei in seinem Zimmer von einer unbekannten Person eingeschlossen worden. Daß er mit Ihnen in dem Restaurant gesprochen und um Hilfe gebeten hat, bis je-
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mand die Verbindung gekappt hat. Als wir heute früh benachrichtigt wurden, war Zech noch in seinem Büro. Er hatte die Nacht auf dem Schreibtischstuhl verbracht.«
»Dann war er also wirklich eingesperrt! Sie müssen ihn wieder freilassen!« rief ich erstaunt aus.
»Nicht ganz so schnell! Da gibt es noch eine andere Version«, stellte Brinkhoff fest und rieb sich die Hände, »denn er kann sich auch selbst eingeschlossen haben.«
»Quatsch! Warum sollte er die Frau umbringen und dann am Tatort bleiben?«
»Das habe ich mich bis vor zehn Minuten auch gefragt. Doch nun kenne ich den Grund. Weil er Ihnen die Lügengeschichte bereits aufgetischt hatte. Er muß bemerkt haben, daß Sie ihn beim GV mit der Toten beobachtet haben. Dann hat er Frau Ritzenbaum
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