Grappa dreht durch
war alt und hatte einen neuen Anstrich nötig. Im Treppenhaus roch es nach Bohnerwachs und Desinfektionsmitteln. Mike Zech hauste unterm Dach in einer Dreizimmerwohnung. Die Einrichtung erinnerte an den derben Schick einer Ikea-Fundgrube. Der Mann war noch nicht richtig ein- oder ausgezogen. Alles wirkte gerade aus- oder noch nicht eingepackt.
»Wie lange wohnen Sie schon hier?« begann ich das Gespräch.
»Seit vier Wochen. Sieht es so schlimm aus?« Er quälte sich ein Lächeln auf den schönen Mund. Der Fünf-Tage-Bart und die Schwierigkeiten der letzten Zeit standen ihm gut.
Er roch nach einem Duschgel, das die Regale fast jeden Supermarktes verunzierte, doch an ihm duftete es passabel. Die braunen Haare waren noch feucht im Nacken und kringelten sich ein bißchen. Das T-Shirt stammte aus dem Maschinentrockner und hatte seine ursprüngliche Größe verloren. So war es mir vergönnt, einen kräftigen muskulösen Oberkörper nicht nur ahnen zu können. Schluß damit, schalt ich mich und wandte die Augen ab, du bist nicht auf einem orientalischen Sklavenmarkt, sondern bei der Arbeit.
»Wollen Sie einen Drink?« Er bevorzugte den üblichen Einstieg in einen Abend zu zweit.
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»Kommt drauf an.« »Worauf?«
»Was Sie mir anbieten!«
»Einen Sherry?«
»Nur wenn er trocken ist.«
»Ist er. Er staubt.«
»Na, dann her damit!«
Er hieß mich willkommen und setzte das Glas an die Lippen. Der Sherry war wirklich trocken. Seine Stimme hatte einen tiefen, belegten Ton, als er fragte: »Warum haben Sie mich an dem Abend nicht aus meinem Büro befreit?«
Ich stellte das Glas auf den Kiefernholztisch. »Ich habe Sie deshalb nicht befreit, weil ich Sie zwischen den geöffneten Schenkeln der Ritzenbaum wähnte. Und da wollte ich auf keinen Fall stören.«
»Haben Sie wirklich gedacht, daß ich es war?«
»Ja. An diesem Abend schon. Warum haben Sie nicht an die Tür geklopft, als ich gekommen bin?«
»Wie sollte ich? Ich habe nicht gehört, daß jemand gekommen ist. Außerdem hatte ich vorher genug Krach gemacht. Jemand hat mich in dem Büro eingeschlossen. Ich habe es erst gemerkt, als ich zu dem Abendessen mit Ihnen fahren wollte. Dann habe ich Sie sofort angerufen. Bis der Mörder die Telefonleitung gekappt hat. Was hätte ich Ihrer Meinung nach tun sollen?«
»Und warum haben Sie nicht zuerst die Polizei oder den Pförtner angeläutet?«
»Im Nachhinein ist man immer schlauer. Ich glaubte zuerst an ein Versehen oder einen dummen Streich. Ich wollte nicht, daß Sie denken, ich hätte Sie versetzt!«
»Wie hat der Mörder die Leitung gestört?«
»Er hat den Telefonstecker rausgezogen. Die Kripo hat das überprüft. Doch die halten es noch immer für einen Trick von mir. Sie glauben nach wie vor, daß ich mich selbst eingesperrt und den Schlüssel durch die Lüftung im Fenster nach unten geworfen habe.«
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»Also wird nach wie vor gegen Sie ermittelt?«
»Die haben keinen anderen Verdächtigen.«
»Das stimmt. Wenn Sie es nicht getan haben, wer ist der Mörder? Der große Unbekannte? Jemand, der zufällig vorbeikam?«
»Genau. Auch wenn es etwas dämlich klingt.«
Ich lachte auf. »Das glauben Sie doch selbst nicht! Die Ritzenbaum hatte sich mit ihrem Mörder zum Geschlechtsverkehr verabredet. Das, was die beiden auf dem Schreibtisch von BIG Boss getrieben haben, war nicht das Ergebnis einer Zufallsbekanntschaft.«
Zech sprang vom Sessel auf. »Eine Sache geht mir einfach nicht aus dem Kopf«, rief er aus. »Ich habe an dem Abend wie bekloppt an die Tür gehämmert. Die Ritzenbaum muß mich gehört haben! Warum hat sie mich nicht befreit?«
»Da kann ich mir zwei Gründe vorstellen«, meinte ich cool. »Sie sind doch der Mörder, und die Sache ist gelogen, oder Ritzenbaum und ihr Mörder wollten, daß Sie alles mitbekommen. So konnte der Mörder Ihnen die Sache in die Schuhe schieben und Rosi hatte ihren Spaß, Sie mit ihren Lustschreien zu beglücken.«
»Überaus witzig! Ich hatte auf Ihre Hilfe gehofft!« kam es gekränkt aus seiner Richtung.
»Sie sind noch immer meine Lieblingsbesetzung für die Rolle des Mörders.«
»Verdammter Dickkopf«, stöhnte er genervt auf. »Wenn ich den Mord begangen habe, warum habe ich mich nicht aus dem Staub gemacht? Es ist alles unlogisch und paßt nicht zusammen!«
»Dafür hat die Polizei eine Erklärung parat«, meinte ich und behielt ihn im Auge. »In der Pförtnerloge im Erdgeschoß sitzt immer jemand und kontrolliert, wer das Haus betritt und
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