Grappa und die keusche Braut
würde gern mal mit ihm reden. In welchem Hotel ist er abgestiegen?«
»Du bist reichlich unverschämt«, konstatierte Kleist.
»So würde ich das nicht nennen«, widersprach ich. »Ich arbeite nur gern erfolgsorientiert. Wie du auch.«
Er knallte den Hörer auf, dass es nur so schepperte.
Irgendwie sind Polizeireporter und Kriminalisten geborene Feinde, dachte ich – nicht zum ersten Mal. Und wenn beide auch noch ehrgeizig sind, geht es gar nicht. Ein gewisses Bedauern stieg in mir auf, aber ich drängte das Gefühl zurück. Nur nicht schwächeln, Grappa!
Nichtsdestotrotz musste ich an Vater Sello heran. Ich bat Pöppelbaum, zum Schloss zu fahren und dort die Augen offen zu halten. »Mach unbemerkt Fotos von den Leuten, die sich dort herumtreiben«, sagte ich. »Aber sei dezent. Es sind bestimmt Angehörige der Opfer dort.«
»Dezent ist mein zweiter Vorname, Grappa!«, erwiderte der Bluthund ernst. »Kannst dich auf mich verlassen.«
Ich fuhr den PC hoch, um endlich die zwanzig Zeilen über den Überfall auf die Bäckerin zu tippen. Kaum hatte ich die ersten Worte in die Tasten gehauen, als mein Handy klingelte. Kleist? Die Nummer war unterdrückt.
»Hier Brinkhoff«, hörte ich. »Warum ist der Bäckerladen geschlossen?«
Ich erzählte ihm, was passiert war. Er war entsetzt und kündigte an, Anneliese Schmitz zu besuchen.
Guter alter Brinkhoff! Jahrelang war er der Hauptkommissar gewesen. Nun war er im Ruhestand.
»Wie geht es denn sonst so, Frau Grappa?«, wollte er wissen.
»Ich sehne mich nach den Zeiten zurück, als Sie Chef der Mordkommission waren. Ihr Nachfolger ist manchmal etwas spröde.«
»Wir hatten aber auch jede Menge Stress miteinander«, erinnerte sich Anton Brinkhoff.
»Stimmt. Aber die Zeit verklärt alles. Was treiben Sie so?«
»Ich bin erst seit drei Tagen zurück in Bierstadt. Ich war in Bayern wandern mit ehemaligen Kollegen. Hätte ich mir schenken können.«
»Warum das?«
»Immer nur über die alten Zeiten reden, ist schnell öde«, berichtete er. »Besonders, wenn in der Rückschau die jeweiligen Heldentaten immer bombastischer werden. Und Sie sind an der Internatsgeschichte dran?«
»Ja. Eine furchtbare Sache. Und es geht nur schleppend weiter. Aber … vielleicht könnten Sie mir helfen.« Mir war eine Idee gekommen. »Der Vater des mutmaßlichen Täters ist in der Stadt. Ich würde gern wissen, in welchem Hotel er untergebracht worden ist. Haben Sie noch Verbindung zu Ihrer früheren Sekretärin? Die hat doch immer die Zimmerbuchungen vorgenommen.«
»Frau Schönwald, ja. Ich kann es mal versuchen. Oder verstoße ich jetzt gegen eine Anweisung meines verehrten Nachfolgers Dr. Kleist?«
»Der hat mir keine Anweisungen zu geben. Und Ihnen auch nicht. Wäre echt toll, wenn Sie mir helfen könnten, Herr Brinkhoff. Ich werde über den Mann natürlich nur schreiben, wenn er damit einverstanden ist – das verspreche ich.«
»Ich melde mich.«
Die nächste halbe Stunde beschäftigte ich mich mit der Verrohung der Jugend, mangelnder Herzensbildung und forderte ein schnelles Umdenken in der Pädagogik.
Was als kleiner Überfall auf eine rechtschaffene Bäckerin beginnt, kann als Amoklauf mit sechzehn Toten in einem Internat enden, schrieb ich.
Peter Jansen lud mich zum Essen ein. Er zweifelte noch immer an seinen Führungsqualitäten. Ich versuchte erst gar nicht, ihm das auszureden, sondern genoss es zu schlemmen, ohne bezahlen zu müssen.
Brinkhoffs Nachricht lag auf meinem Schreibtisch, Sarah hatte sie notiert. Es standen nur zwei Worte auf dem gelben Zettel: Römischer Kaiser.
Ich jubelte und klingelte den Bluthund an. Er war auf dem Weg zurück in die Redaktion.
»Ich habe einige Fotos im Kasten«, berichtete er. »Viel war allerdings nicht zu holen. Natürlich jede Menge Bullen. Ans Gebäude bin ich nicht rangekommen, die Spusi arbeitet immer noch auf Hochtouren. Ich bin danach noch zum Rechtsmedizinischen Institut gefahren. Die fahren zurzeit ein Drei-Schicht-System. Ist das nicht grausig?«
Ja, das war es. Ich verjagte die Bilder, die vor meinen Augen aufkamen.
»Ich hab Kontakt zum Vater des Täters«, erzählte ich. »Na ja, jedenfalls fast. Ich weiß, in welchem Hotel er logiert. Wir besuchen ihn heute Abend.«
»Weiß er das?«, fragte Pöppelbaum.
»Nein. Aber das klappt schon irgendwie.«
»Klar, Grappa.«
Eine halbe Stunde später sichteten wir die Fotos, die Pöppelbaum vor dem Internat gemacht hatte.
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