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Grappa und die keusche Braut

Grappa und die keusche Braut

Titel: Grappa und die keusche Braut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriella Wollenhaupt
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und sprachlos. Erstarrt.

    Caroline trat zurück, verließ die Bühne und schritt langsam durch den Mittelgang. Die Absätze ihrer Schuhe erzeugten ein hartes Geräusch – tick, tock, tick, tock –, niemand regte sich.

    Die junge Frau verließ die Halle und verschwand auf dem Rathausplatz. Die vorgesehene Abschlussmusik – Bachs Toccata und Fuge in d-Moll – wurde nicht mehr gespielt.

    Ich blickte zu den ersten Reihen. Lara Lindenthals Kopf klebte an der Schulter des Schulleiters. Ihr Körper zitterte im Weinkrampf.
    Was war das gerade gewesen? So richtig fassen konnte ich das Geschehene noch nicht. Ich sah zu Jansen.
    »Mach den Mund zu«, flüsterte er. »Jetzt wird es erst richtig interessant. Mit der Geschichte werden wir noch viel Arbeit haben, Grappa.«

    »Wir?«

    »Du natürlich, Grappa-Baby.« Er packte seine Papiere zusammen. »Und ich halte dir den Rücken frei – wie immer.«

    Der Organist hatte sich gefangen und spielte etwas Belangloses. Stimmengemurmel setzte ein, wurde lauter. Der Bundespräsident und die Bischöfe rauschten ab.

    Nach und nach verließen alle die missglückte Trauerfeier. Ich suchte Richard Sello, fand ihn aber nicht.

    Nun waren es schon zwei Menschen, die Patrick für unschuldig hielten.

     
    Die Sonderausgabe des Bierstädter Tagesblattes war zwei Stunden nach dem plötzlichen Ende der Trauerfeier auf dem Markt – und wurde den Händlern aus den Händen gerissen. Wir hatten vier Seiten zustande gebracht, von denen zwei nur Fotos zeigten: den Bundespräsidenten, die Bischöfe, die Angehörigen. Und Caroline von Fuchs am Rednerpult. Ihre Kleidung schien noch weißer als die Rosen der Blumendekoration. Ihr Gesicht in Nahaufnahme: In ihrem Blick fand sich keine Trauer, sondern glasklare Entschlossenheit. Ein weiteres Foto zeigte, wie sie mit ausgestrecktem Arm auf die Lehrerin deutete.
    Wenn Caroline von Fuchs die Absicht verfolgt hatte, Aufsehen zu erregen, dann war ihr das gelungen. Die Medien waren aufgescheucht. Bundesweit wurde ihre kurze Rede in jeder Nachrichtensendung übertragen. Der Bierstädter Lokalsender moderierte den Beitrag am Abend so an: »Ein Skandal ereignete sich bei der Trauerfeier für die sechzehn Opfer der Amoktat von Bierstadt. Die Schulsprecherin, eine Kameradin der Toten, nahm den mutmaßlichen Täter, den Schüler Patrick S., in Schutz und beschuldigte die Lehrerin, die das Massaker überlebt hat. In Gegenwart des Bundespräsidenten zeigte sie auf die sechsunddreißigjährige Frau und klagte sie an, mit dem berühmten ›J’accuse‹ des Émile Zola.«

    Der anschließende Film zeigte die Szene in aller Ausführlichkeit: das ›J’accuse‹ und seine Adressatin Lara Lindenthal, die – völlig überrascht durch den Angriff – in ihrem Rollstuhl zusammensackte. Dr. Lerchenmüller, der Lindenthals Kopf an sich zog und etwas flüsterte. Die erstaunte Miene des Bundespräsidenten, der – später vom Reporter befragt – das Ereignis nicht kommentieren wollte.
    Die BILD-Zeitung brachte in ihrer abendlichen Online-Ausgabe das ungeschminkte Gesicht Carolines in verschwommener Großaufnahme und titelte: Die UN-geschminkte UN-Wahrheit! Das Blatt mit den großen Buchstaben schrie Zeter und Mordio und wollte die Schülerin in Haft wissen, mindestens aber in der Psychiatrie.
    Ich verfolgte die Nachrichtensendungen noch bis Mitternacht. Alle Reporter waren auf der Jagd nach Caroline von Fuchs und Lara Lindenthal. Natürlich nur, um die Bevölkerung aufzuklären. Ich seufzte. Journalismus war nicht immer ein sauberes Geschäft. Und auch ich würde den Kampf der beiden schönen jungen Frauen weiterverfolgen. Wo lagen Wahrheit und Schuld im Zusammenhang mit den sechzehn Toten?

    Was Kleist wohl zu der Entwicklung sagte? Es war zu spät, ihn anzurufen. Ich sandte eine SMS auf sein Handy: Zehn Uhr Sonntagsfrühstück bei mir. Brötchen bringen.

Theater um ein schreckliches Video

    Mein Schlaf war tief und traumlos gewesen. Gegen neun Uhr schaute ich auf mein Handy. Kleist hatte auf meine SMS mit OK geantwortet. Also badete ich und cremte mich mit einer wohlriechenden Körpermilch ein. Während ich den Tisch deckte, klingelte mein Mobiltelefon im Schlafzimmer. Er sagt ab, dachte ich sofort. Umso überraschter war ich, dass Anton Brinkhoff sich meldete.

    »Im Schloss herrscht Ausnahmezustand«, berichtete er. »Lara Lindenthal liegt mit einem Schwächeanfall in ihrem Appartement und Caroline von Fuchs hat Zimmerarrest. Keine Ahnung, wie es ihr geht.

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