Grappa und die keusche Braut
gefunden.
»Hast du es übers Handy versucht?«, fragte ich atemlos.
»Natürlich.«
»Dann hat Peter Pech, ich übernehme das.«
Ich las das Fax genau. Es war eine gemeinsame Presseerklärung der Staatsanwaltschaften Flensburg und Bierstadt:
In den frühen Morgenstunden des heutigen Tages wurde in einer Ferienwohnung auf der Nordseeinsel Amrum die Leiche einer Frau gefunden. Die Geschädigte ist durch Strangulation ums Leben gekommen. Fremdeinwirkung ist nicht auszuschließen. Durch aufgefundene Ausweispapiere konnte die Identität der Toten geklärt werden. Es handelt sich um die 58-jährige Dr. Liane M. aus Bierstadt. Ersten Ermittlungen zufolge hat die Verstorbene die Ferienwohnung zusammen mit einer Freundin gemietet. Von dieser fehlt zurzeit jede Spur. Dafür wurde ein Hund aufgefunden. Er wurde dem Tierheim zugeführt. Eine Obduktion ist angesetzt. Die Ermittlungen dauern an.
Ich atmete tief ein. Muthmann tot und Mobby im Tierheim, die Freundin auf der Flucht. Bierstadt musste seine Kämmerin nicht mehr abwählen und kam sogar um die Gehaltsfortzahlung herum.
Die Boulevardzeitungen fuhren die Sache online schon ziemlich prominent und ließen es sich nicht nehmen, politische Intrigen zu vermuten:
Was wusste Liane Muthmann über die politischen Machenschaften in Bierstadt? Wer hatte Interesse an ihrem Tod?
Ich formulierte eine weitestgehend sachliche Meldung für die erste Mantelseite.
Kaum hatte ich den Artikel ins System gestellt, kehrte Jansen zurück. In groben Zügen war er schon über das Geschehene informiert.
»Auch das noch! Was ist denn bloß los in unserem schönen Bierstadt?«, stöhnte er.
Er las meinen Artikel und fand ihn in Ordnung.
»Ob es die Freundin gewesen ist?«, grübelte ich. »Aber vielleicht hat sie den Mörder auch gesehen und ist deshalb weg.«
»Wir halten uns streng an die Fakten – keine eigenen Ermittlungen. Denk an unsere Personallage: zwei Kollegen krank, einer auf Fortbildung, Wurbelchen beim esoterischen Kollektivweinen am Kamin, Harras sitzt allein im Sport, Pöppelbaum ist unser einziger Knipser und die Volontäre dürfen nicht ausgebeutet werden, sonst kommt die Tussi vom Betriebsrat wieder angerückt. Die hat mich wegen der Wurbel ohnehin auf dem Kieker. Und Chefsein kostet schließlich auch Zeit.«
Mailbox und Migräne
In der Nacht ereilte mich ein schwerer Migräneanfall. Es hatte keinen Sinn, zur Arbeit zu fahren. Ich informierte Jansen.
Der rechtsseitige Schmerz, direkt über der Augenbraue, haute mich vollkommen aus den Latschen. Ich hatte das Gefühl, dass mir ein böser Wurm bei lebendigem Leibe das Hirn wegfraß. Mehrere Male musste ich mich übergeben.
Als sich der Magen endlich einigermaßen beruhigt hatte, warf ich eine Migränetablette ein, stellte Handy und Telefon ab, verdunkelte den Raum und legte mich zurück ins Bett. So döste ich, von Tablette und Schmerz betäubt, vor mich hin. Nach Stunden ließ der Schmerz langsam nach. Jetzt war ich nur noch kaputt.
Ich kochte mir aus einem Brühwürfel eine salzige Suppe, brockte ein trockenes Stück Ciabatta hinein und aß langsam. Meine Hand konnte den Löffel kaum halten. Zurück ins Bett. Wieder schlafen.
Aber schlief ich wirklich? Es war eher eine Zwischenwelt, in der ich mich befand. Ich hörte das Ticken des Weckers lauter als sonst, die aufgeregten Krähen auf dem Feld schienen ein Echo zu haben und die Autos, die vorbeifuhren, Formel-1-Motoren. Seltsamerweise konnte ich die Geräusche nicht mit ihren Verursachern in Verbindung bringen. Das Weckerticken erschien mir als das Schlagen eines Metronoms, die Schreie der Krähen als Kasernenhofdrill und die Automotoren als Löwengebrüll.
Drehte ich langsam durch? Oder galoppierte ich ins Alzheimerreich?
Nur ganz langsam bekam ich Hören, Denken und Schlüsseziehen wieder auf die Reihe. Der Wurm im Kopf kehrte in seine Höhle zurück.
Es war später Nachmittag. Ich duschte, bereitete mir Tee und trank den Rest der Brühe.
Morgen war Großkampftag. Ich musste dann einfach wieder fit sein. Das Tageblatt hatte für den Nachmittag eine Extraausgabe geplant.
Um auf dem Laufenden zu bleiben, schaltete ich die Telefone wieder ein.
Drei Anrufer hatten auf meine Mailbox gesprochen. Brinkhoff wollte mir von seinem ersten Tag auf Schloss Waldenstein berichten, sagte jedoch auch, dass es noch nichts Spektakuläres zu erzählen gebe. Peter Jansen wollte wissen, ob er am nächsten Tag mit mir rechnen könne. Und
Weitere Kostenlose Bücher