Grappa Und Die Seelenfaenger
Unserem Fotografen gelang es, die Entführung im Bild festzuhalten.
Ich stellte die Fotoserie in den Text. Die grinsenden Brett-Masken wirkten unheimlich – wie Figuren aus einem Horrorfilm. Dann das Close-up der schlaff herabhängenden Hand mit dem Goldring.
An der Authentizität eines »Bekennerbriefes«, der einige Stunden nach der Entführung bei der Polizei einging, haben die Ermittler erhebliche Zweifel. Fest steht aber, dass die Sekte das Entführungsopfer Brett bedroht hatte. Die Kirche der Erleuchteten hat jedoch inzwischen jede Beteiligung an der Straftat zurückgewiesen.
Abends gönnten sich Pöppelbaum und ich noch einen Absacker. In der Kneipe, in die wir zufällig hineingerieten, lief der Fernseher. Bretts Entführung beherrschte nach wie vor die Nachrichten. Aber mehr Informationen als ich hatte die Konkurrenz auch nicht.
Der WSDS-Sender hatte die Ausstrahlung des gestrigen Castings vorgezogen, um zeitnah Quote zu machen. Über die Bilder wurde ein Rolltext eingeblendet: Aktuell! Pitt Brett wurde entführt. Von ihm fehlt jede Spur! Alle News zum Thema hier bei uns!
»Da ist Birsen«, zeigte ich auf die Mattscheibe.
»Im Fernsehen kommt sie ja noch schlimmer als live«, stöhnte Pöppelbaum erschüttert.
»Ja klar, die Filmaufnahmen werden geschnitten, mit neuen Texten besprochen oder verfremdet. So werden die Kandidaten so richtig lächerlich gemacht.«
»Was machst du denn so?«, fragte Brett die nächste Kandidatin.
»Isch?«
»Ja, du.«
»Kochen, shoppen, quatschen und telefonieren«, antwortete die glutäugige Braut.
»Deine Stimme gehört auf ein Fahndungsplakat«, gab Brett einem anderen Kandidaten mit auf den Weg. Und schon wurde eine Grafik eingeblendet. Sie zeigte einen Steckbrief mit Bild und Namen des Kandidaten. Delikt: Musikfolter.
»Die sind echt hart«, meinte Wayne und bestellte noch ein Bier. »Viele Leute hätten Grund, dem Brett mal die Fresse zu polieren. Die tun mir echt leid.«
»Mein Mitleid hält sich in Grenzen. Niemand wird gezwungen, dort vorzusingen. Die Jungs und Mädels machen mit dem Sender schließlich einen Vertrag«, erklärte ich. »Alle Rechte an Fotos, Videos und Tonaufnahmen gehen damit für immer und ewig auf den Sender über. Manche sind noch Jahre später eine Lachnummer als Klingelton oder in der x-ten Wiederholung in der Chartshow der peinlichsten Auftritte zu sehen.«
Ich schaute auf den Rolltext, der jetzt rot unterlegt war: Aktuell! Pitt Brett wurde gestern entführt. Von ihm fehlt jede Spur! Bekennerschreiben einer Sekte ist gefälscht. Alle News zum Thema hier bei uns!
»Die haben das Tageblatt online gelesen«, tippte Wayne.
»Wohl eher die Pressemitteilung. Ich bin sehr gespannt, wann Brett wieder auftaucht. Eins steht jedenfalls fest: Was Besseres konnte dem Sender nicht passieren. Die Quote von WSDS wird in astronomische Sphären schnellen.«
Am Ende der Show konnten die Zuschauer dreitausend Euro gewinnen. Da aber die Götter den Schweiß vor den Erfolg gesetzt hatten, musste erst eine Frage beantwortet werden: Was ist eine Krankheit? A) Ziegen-Peter oder B) Ziegen-Uschi.
»So finanzieren die ihren Quatsch«, begriff Wayne. »Gewinnspiel und Kandidatenvoting. Fünfzig Cent pro Anruf. Das funzt!«
»Bei einem Marktanteil zwischen acht und zehn Millionen Zuschauern kommt da einiges zusammen«, nickte ich. »Diese Gewinnspielfragen haben wirklich Charme. Ziegen-Uschi hört sich an wie eine Kandidatin bei Bauer sucht Frau. «
Weiße Schürze an kariertem Rock
Der Montag begann mit einer Überraschung: Knalliger Sonnenschein spiegelte Hochsommer vor und es wurde wirklich richtig warm. In der Konferenz am Morgen bekam ich Lob von Schnack. Aber ich konnte es nicht entsprechend würdigen. Ich hatte wenig geschlafen, weil mir ein Foto nicht aus dem Sinn ging: Wie die weiß geschürzte Frau mit dem karierten Rock vor der Tür des Juryraums stand – die Hand an der Klinke –, während die drei Entführer hinter der Tür die Jury bedrohten und fesselten.
War sie hineingegangen oder war der Raum zu der Zeit abgeschlossen gewesen? Hatte sie an der Tür gerüttelt und war dann unverrichteter Dinge wieder abgezogen? Oder hatte sie die Tat gar beobachtet?
Letzteres erschien mir unwahrscheinlich, denn dann hätte Kleist eine perfekte Zeugin gehabt und es mir erzählt.
Möglicherweise hatte die Frau aber auch einen Grund, über ihre Beobachtung zu schweigen.
Ich erreichte Kleist im Präsidium und fragte nach dieser Frau. Aber er
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