Grappas Gespuer Fuer Schnee
Die Jäger schätzen es nicht sehr, aber die Sportschützen. Wenn man ein Zielfernrohr montiert und es korrekt einstellt, kann man auch auf mehrere hundert Meter problemlos treffen. Und man kann mehrmals schnell hintereinander Schüsse abgeben.« Er machte eine Pause. »Geschossen wurde von dem Flachdach gegenüber dem Rathaus.«
Mich schauderte. »Das ist eine grausige Vorstellung. Wer macht so was? Und wieso zu zweit?«
»Wer die beiden sind, ist die letzte Frage. Auf die zielt ja alles hin. Jedenfalls hatte einer von ihnen einen Anfall von schwacher Blase. Es sind Urinspuren auf dem Dach. Das ist DNA-fähiges Material.«
»Aber mit wem kann man das abgleichen? Es gibt ja keinen Hinweis in irgendeine Richtung.«
Seine Stirn bekam Falten. »Noch nicht, aber darum sitzen wir ja hier zusammen. Wir haben noch etwas gefunden. Ein Stück bedruckte Pappe.«
»Einen Karton? Vielleicht für ’ne leckere Pizza?«
»Es ist nur ein winziges Stück.« Er legte einen Block Papier vor sich hin und einen Kugelschreiber. »Und jetzt möchte ich dir den Ablauf erzählen, aus der Perspektive der Mörder. Vielleicht schießen dabei die Dinge so zusammen, dass am Ende etwas Neues entsteht.«
Das klang spannend. »Ich bin ganz Ohr.«
»Es ist Nacht. Ich hole das Gewehr und prüfe es. Ich lade das Magazin und setze es in das Gewehr ein. Ich lade durch, damit ich es nicht auf dem Dach tun muss. Das knallt ganz ordentlich bei dieser Waffe. Die erste Patrone ist im Lager. Die Waffe ist schussbereit. Ich lege den Sicherungshebel auf sicher.«
Kleist vollführte mit seinen Händen entsprechende Bewegungen. »Jetzt verpacke ich das Gewehr.«
Im Packen besaß ich Übung. Also warf ich ein: »Am besten wäre eine Art Koffer. Nach den Schüssen willst du schnell verschwinden. Du musst es so einpacken, dass du mit wenigen Handgriffen fertig bist.«
»Guter Gesichtspunkt.«
Er fuhr fort: »Jetzt treffe ich mich mit meinem Komplizen und wir gehen zum Rathausplatz.«
»Ich denke, die Schussposition hast du schon vorher erkundet und festgelegt.«
»Ja, ich weiß, wohin ich möchte, und ich habe die Schlösser schon vorher einmal geöffnet. Wir ziehen Handschuhe an und öffnen die Seitentür. Wir gehen hinein und schließen von innen wieder ab.«
»Geht das denn mit einem Dietrich?«
»Maria, du bist wirklich gut. Auf so eine Frage kommt in der Kommission niemand. Wenn die Täter hinter sich abgeschlossen haben, müssen sie einen richtigen Schlüssel gehabt haben.«
Ich war zwar stolz auf mich, aber ich wollte die Fortsetzung hören. »Gut, ihr seid jetzt im Gebäude. Wie kommt ihr aufs Dach?«
»Es ist Nacht. Der Fahrstuhl wird aber nicht ausgeschaltet. Also zu Fuß oder Fahrstuhl.«
»Und oben?«
Die Falten auf seiner Stirn vertieften sich. »Der Fahrstuhl geht bis in den fünften Stock. Dann folgt eine Eisenleiter. Eine Eisentür versperrt den Zugang zum Dach. Auch die wird mit einem Schlüssel oder einem Trick geöffnet.«
»Schließt ihr auch diese Tür hinter euch ab?«
»Nein. Wir wollen nicht überrascht werden. Mein Kollege überwacht die Eisentreppe. Dazu muss er durch die Tür gehen können.« Er schwieg und entspannte sich ein wenig.
Ich wollte, dass er weitersprach. »Jetzt habt ihr Zeit.«
»Ja. Wir warten. Und wir achten darauf, dass wir nicht auffallen. Als es dämmert, hocken wir uns in den Schatten der Schornsteins.«
»Einer von euch muss pinkeln irgendwann.«
»Ja. Das wird auf Männerweise erledigt. Beim Schornstein.«
»Mit Handschuhen?«
Er lächelte schief. »Fingerspuren sind keine da. Aber wir brauchen auch keine. Wenn wir einen Menschen finden, der zu der DNA passt, ist bewiesen, dass er dort war.«
»Ein Stochern im Nebel«, seufzte ich.
Er fuhr fort auf seinem Weg. »Es ist hell geworden. Nicht mehr lange und es ist so weit. Ich gehe an den Rand des Daches und beobachte den Platz.«
»Was hast du gegen dieses Brautpaar?«
»Ich weiß es nicht. Ich weiß nicht einmal, ob ich ein Mann bin oder eine Frau.«
Ich holte Luft. Bevor ich etwas sagen konnte, brachte er mich mit einer Geste zum Schweigen.
»Da ist etwas. Aber zugleich ist da nichts. Alles ist leer. Ich warte auf das Brautpaar. Warum will ich diese Menschen töten?«
»Liebe, Geld, Rache?«
»Es gibt im Hintergrund der beiden Toten nichts, was auf ein mögliches Eifersuchtsdrama hinweist. Sie waren als Kinder schon Spielkameraden, besuchten dieselbe Schule und liebten sich, seit sie dreizehn waren. Nie war jemand dazwischen. Das
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