Grass, Guenter
Tod hat er gedroht, nur dann weiterzuarbeiten, wenn ihm der Ruhm
blühe, der Vollender des großen Werkes zu sein.
»Was wir vorausgewußt haben!«
»Immerwährendes Gezänk...«
»Kleinliche Querelen!«
»Jahrelanger Stillstand!«
»Kein
Wunder, wenn selbst dein Herr Sohn, der ach so begabte Herman, bald nach
unserem Ableben behauptet hat, das Grimmsche Wörterbuch sei schon bei unserem
Tode veraltet gewesen.«
»Womit
er in erlauchten Philologenkreisen sogleich Zustimmung fand.«
»Man sollte das Ganze aufgeben, hieß es.«
»Und dennoch ging es weiter.«
»Immerhin
nahm sich dann doch noch die Akademie der Wissenschaften unserer Sache an.«
»Zögerlich genug und mit Zahlungen knausernd.«
»Jedenfalls
wurden nachweislich hundertfünfundsechzig Exzerptoren tätig...«
»...und
der Zettelvorrat zählte mehr als eine Million Zitate.«
»Dieser
Wunderlich aber, der sich nach Hildebrand und Heyne hervortat, wollte
gleichfalls keine Mitarbeiter dulden, selbst als ihm das G über den Kopf
wuchs, dabei mehr und mehr in die Breite geriet und schließlich als Schwellkörper
fünfeinhalb Bände mästete.«
»Alles über den grammatischen Leisten gespannt.«
»Zum Glück ist er nur bis >gezwang<
gekommen.«
»Dazu
der endlose Professorenstreit zwischen Kluge und dem, genau besehen,
verdienstvollen Schröder.«
»Zerwürfnisse!«
»Eitle Zankteufelei!«
»Elende Zwietracht herrschte...«
Dann
aber, urplötzlich, waren sie bei ihren Anfängen in Kassel, beim A, als der
Vertrag zum Wörterbuch abgesegnet werden sollte, was immer wieder verzögert
wurde. »Aber nein!« riefen abwechselnd beide, »Aber ja!«
Vergeblich
versuchte ich, mich ins Gespräch der Brüder zu mengen, sie zum Z zu zwingen.
Ich zwängte mich sogar auf den Fahrersitz mit der Absicht, trotz fehlenden
Steuerrads die Lenkung zu übernehmen. Der vom Wind getragene Ziegelsplitt
machte, daß meine Zähne knirschten. Doch der Hinweis, Zwist und Zank seien
leider üblich, genau so zungenfertig sei es zugegangen, als vor wenigen Jahren
die Rechtschreibreform deutsch- und starrsinnig Anlaß zum Philologenstreit
gegeben habe, wurde überhört. Mein späterer Einwurf - denn ihr Zwiegespräch
wollte nicht enden -, die Ungleichartigkeit des Wörterbuchs biete zusätzlichen
Anreiz, sie entspreche Jacob Grimms Rede auf dem ersten Germanistentag, Ȇber
den Werth der ungenauen Wissenschaften«, war ihnen wie danebengeredet. Also
überließ ich beide ihrem Genörgel.
Sollten
sie weiterhin in der ausgeweideten Karosserie eines Kübelwagens aus
Kriegszeiten hocken, mit heftigen Gesten Mörtelstaub aufwölken und sich an
ihren Nachfolgern reiben; mir war die Freude am Wörterbuch, mochte es noch so
überladen wie unvollständig sein, nicht zu vergällen.
Abstand
nahm ich vom Kübel und blickte von der obersten Sockelstufe des
Lortzingdenkmals über die Odnis des Tiergartens. Fern ragten der kolossale
Flakbunker, die Reichstagsruine, die von Bomben- und Granatsplittern
ramponierte Siegessäule. Krähen darüber, die nun das Wort hatten.
Nur
einmal noch rief ich »Euer Wörterbuch ist und bleibt mein Hausschatz!« und
gefiel mir ab dann in der Rolle des Wüstenpredigers, das heißt, ich sah mich
als vergeblicher Mahner, von dem schon Goethe wußte, daß er »als stimme in der
wüste kaum wohl vernommen« wird.
Ins
Leere reden. Darin hatte ich mich geübt. Niemand wollte hören, was ich, kaum
war die Mauer zwischen zweimal Deutschland gefallen, als Folgen der ruckzuck
vollzogenen Einheit aufzählte. Kein Gehör fand bei den Sozialdemokraten meine
Warnung vor der Schändung des Asylartikels, eines Kronjuwels der Verfassung.
Niemand wollte und will sehen, was ich seit Jahr und Tag wiederholt, also
papageienhaft beklage: die Belagerung des Bundestages durch die Mafia der
Lobbyisten, wie sie Parlamentarier abhängig, käuflich, sich gefällig machen,
Betrug legitimieren und die Demokratie in Verruf bringen. Selbst als ein Teil
des Schwindels ruchbar wurde und aufflog...
Verschrien
als Rechthaber, Besserwisser, Moralapostel sehe ich mich, bespuckt und verhöhnt
und mißachtet, wie vormals der biblische Sündenbock, der belastet mit der Menschenkinder
schuldhaftem Tun in die Wüste geschickt wurde, wo gut predigen ist.
Also
die gekränkte Leberwurst spielen. Oder Wüstenstille suchen. Oder mit Gottfried
Keller - »arbeit ist das wärmste hemde, frischer quell im Wüstensand« - nur
noch Wörter setzen, und sei es die der Klage: Weh, Wehruf,
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