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Grau - ein Eddie Russett-Roman

Grau - ein Eddie Russett-Roman

Titel: Grau - ein Eddie Russett-Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eichborn-Verlag
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gleiche Schaltfeld.
    »Wenn die Einstigen etwas so Profanes wie Straßen dazu bringen konnten, solche Dinge zu tun«, murmelte sie, »dann kann man sich ausrechnen, wozu sie sonst noch in der Lage waren.«
    Mir fielen gleich Schweblinge und Fernwahrnehmer ein, Glühbirnen und Everspins. Es war so, als käme man gerade in dem Moment in ein Konzert, in dem das Orchester aufhört zu spielen und nur die letzten Töne noch in der Luft hängen und allmählich ausklingen.
    »Und wie hast du es damit nun an einem Tag nach Zinnober hin und zurück geschafft?«
    »Ach, ja!«, sagte sie lachend. »Pass auf.«
    Sie drückte auf einen der Knöpfe, und das Schaltfeld nahm eine andere Form an, mit einer neuen Batterie von Knöpfen, und unter jedem Knopf waren ähnlich unverständliche Schriftzeichen zu lesen wie auf dem ersten Schaltfeld. Fachmännisch bediente sie ein paar Regler, worauf die Straße in wellenartige Bewegungen versetzt wurde, fast geräuschlos, so als würde sie sich daran machen, ein fremdes Objekt zu entfernen. Doch statt quer zur Fahrbahn zu verlaufen und begrenzt auf die betroffene Fläche, verlief diese Bewegung längs, Richtung Rostberg.
    Ich sah zu Jane, die ungewöhnlich begeistert von der ganzen Sache war.
    »Es ist ein Fließband«, erklärte sie. »Vermutlich zu dem Zweck, den beim Bau der Straße angefallenen Schutt wegzuschaffen. Aber es kann eben auch unendlich viele andere Funktionen erfüllen. Und jetzt pass auf!«
    Sie trat auf den äußersten Rand der Fahrbahn und wurde ganz langsam die Straße entlang befördert. In der Straßenmitte kamen die Wellenbewegungen in rascherer Folge, je näher sie also zum Mittelstreifen vorrückte, desto schneller entschwebte sie Richtung Rostberg. Nach etwa dreißig Metern ließ sie sich wieder zum Straßenrand treiben, das Tempo verlangsamte sich, sie trat von der Fahrbahn herunter und ging zu Fuß zurück zu ihrem Ausgangspunkt, wo ich wartete.
    »Ich kann auf vorwärts und rückwärts stellen, sogar die Entfernung des Fließbands begrenzen. Du kannst dich mitten auf der Straße auf einen Stuhl setzen, und in zwanzig Minuten bist du in Rostberg. Um nach Zinnober zu gelangen, lasse ich mich von dem Fließband bis Rostberg befördern, steige ab, gehe den freien Abschnitt zu Fuß und steige dann wieder um auf die Perpetulitbahn bis nach Zinnober. Die Fähre lasse ich natürlich aus, und ich verschwinde rechtzeitig vom Band, bevor mich jemand sieht.«
    Sie schaltete das Band ab, und abrupt kehrte die Straße wieder zu ihrem alten Zustand zurück, und als sie den Anhänger mit dem Schlüssel aufhob, verschwand auch das versenkte Schaltfeld.
    »Erstaunlich.«
    »Heute kommt es einem erstaunlich vor, aber früher hatten sich die Leute so daran gewöhnt, dass es ihnen gar nicht mehr besonders auffiel. Und noch was, Roter.«
    »Ja?«
    »Du darfst es niemandem weitererzählen.«
    Ich versprach ihr, dieses Geheimnis in die lange Liste der vielen anderen Geheimnisse aufzunehmen, und sie lachte. Plötzlich kam mir ein Gedanke.
    »Du wirst deinen Reboot gar nicht antreten, oder?«
    Ihre Miene wurde ernst, und sie hängte sich die Kette mit dem Anhänger wieder um den Hals.
    »Nein. Montagmorgen bin ich weg von hier. Es ist nicht gerade die ideale Lösung, aber ich bin achthundert Meriten im Minus.«
    »Achthundert? Was hast du gemacht?«
    »Es liegt eher daran, was ich nicht gemacht habe. Es ist schon verrückt, wie schnell man Schulden auf sich zieht, wenn die Leute erst mal eine Abneigung gegen dich gefasst haben.«
    »Wo willst du hin?«
    »Keine Ahnung. Vielleicht nach Rostberg. Keine tolle Lage, aber wenigstens ist der Transport dahin kein Problem. Mit dem Fließband kann ich fahren, wohin ich will.«
    »Du wirst mir fehlen«, sagte ich spontan.
    »Roter«, sagte Jane und legte eine Hand auf meinen Arm, eine seltene Geste der Zärtlichkeit. »Wenn es soweit ist, bist du schon nicht mehr hier.«
    Ich schwieg einen Moment. Trotz Janes manchmal unangenehmer Freimütigkeit war dies die erste einigermaßen erfreuliche Unterhaltung mit ihr. Sie hatte mir kein einziges Mal damit gedroht, mich zu töten oder mit einem Ziegelstein nach mir geworfen oder sowas, dabei sprachen wir bereits geschlagene zwanzig Minuten miteinander. Wie gerne hätte ich geglaubt, dass sie mir vertraute, aber wahrscheinlich schätzte sie bloß meine Überlebenschance in Hoch-Safran nicht sehr hoch ein, wie alle anderen auch. Dennoch fand ich, dass der Zeitpunkt noch immer nicht gekommen war, sie zu

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