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Grau - ein Eddie Russett-Roman

Grau - ein Eddie Russett-Roman

Titel: Grau - ein Eddie Russett-Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eichborn-Verlag
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gehört habe.«
    »Wie Sie schon sagten«, antwortete ich, »Einfallsreichtum wird bei NationalColor durchaus wohlwollend betrachtet.«
    »Ja, allerdings. Ich bin zwar nicht bei den Ausbildern, aber ich vermute, dass wir beide uns wiedersehen werden. Für mich ist NationalColor wie eine Familie.«
    Er schwieg einen Moment.
    »Ich habe Ockers Komplizen übrigens nicht gefunden«, sagte er. »Falls Ihnen irgendetwas zu Ohren kommt, erwarte ich natürlich, dass Sie mich informieren.«
    »Selbstverständlich.«
    »Gut. Darf ich Ihnen einen Rat geben, Edward?«
    »Ich bitte darum.«
    »Manche Leute versuchen sich gern an ideologischen Fragen. Solange man nicht dem einzig wahren Licht folgt, sollte man davon lieber Abstand nehmen.«
    Er sprach sehr betont, und ich spürte ein Kribbeln auf meiner Haut. Vielleicht hatte er ja einen Verdacht, Jane und mich betreffend, vielleicht aber wollte er mir auch nur etwas entlocken. Jedenfalls wurde ich sofort hellhörig.
    »Ich verstehe nicht ganz, was Sie meinen.«
    »Dann möchte ich Sie mit ein paar Zahlen konfrontieren. Vor hundert Jahren wurden pro Jahr über zehntausend Menschen dem Reboot übergeben. Letztes Jahr betrug diese Zahl fünfhundertneunundsechzig. In hundert Jahren sind wir vielleicht bei null angelangt. Verstehen Sie?«
    Natürlich verstand ich, was er meinte. Er wollte mir die Schlüssigkeit des Systems erläutern. Aber ich durfte mir nicht anmerken lassen, dass ich auch nur eine Ahnung hatte, wovon der sprach.
    »Ja, Sir«, erwiderte ich, »es zeigt, dass Munsell recht hatte, in jeder Hinsicht – außer vielleicht bei den Löffeln.«
    Ich lachte, und der Colormann lachte mit mir.
    »Ja«, sagte er, »die Löffel.«
    Er deutete mit einem Kopfnicken zu Imogens und Dorians Zugabteil.
    »Ein schönes Paar.«
    »Ein glückliches Paar.«
    »Ich habe sie angewiesen, in den Nachtzug nach Smaragdstadt zu steigen«, sagte er und fixierte mich mit einem eiskalten Blick. »Der ist bequemer.«
    Mein Herzmuskel setzte für einen Schlag aus.
    »Aber … das ist der Zug zum Reboot«, sagte ich, so unbekümmert wie möglich. »Wäre es nicht einfacher, sie mit dem Smaragdstadt-Express hinzuschicken?«
    Der Colormann sah mich scheinbar ausdruckslos an.
    »Ich habe telegraphisch Anweisung gegeben, dass sie abgeholt und in die Stadt gebracht werden. Es besteht keine Gefahr. Haben Sie etwas gegen den Plan einzuwenden, Edward?«
    Er sah mich mit einem, so schien mir, triumphierenden Lächeln an. Ich saß in der Falle, und er wusste es. Wenn ich nichts sagte, würde man Imogen und Dorian nach Hoch-Safran schicken. Wenn ich Einwände vorbrachte, wusste er, dass ich voll und ganz im Bilde war. Jane und ich wären erledigt, noch ehe wir richtig losgelegt hätten.
    Ich holte tief Luft und dachte an Janes Worte: Unschuldige werden leiden, auf deine Veranlassung . Ich hatte Sally Schwefel und von der Malve ausgetrickst, ich war Ratsmitglied, und jetzt eröffnete sich mir sogar die Möglichkeit, die notorisch geheimniskrämerische NationalColor zu unterwandern. Mehr noch: Ich wusste Dinge, die eigentlich niemand wissen durfte. Jane und ich hatten die minimale Chance, die ganze Wahrheit zu entdecken und das Kollektiv zu zerstören. Aber war all das wichtiger als Imogen und Dorian?
    »Nun, es ist ja nicht wichtig, mit welchem Zug sie ankommen«, sagte ich. »Ich freue mich nur für sie, dass sie entkommen.«
    Ich lachte. Und mit diesem Lachen hatte ich zwei Menschen zum Tode verurteilt. Zwei unschuldige Menschen. Zwei Menschen, die sich liebten. Mit demselben Lachen hatte ich aber vielleicht auch Tausende andere gerettet. Und ich hatte die Grundlage für Jane und mich, für das, was wir erreichen wollten, geschaffen. Wir würden den Sieg davontragen, und wäre es nur für Imogen und Dorian und für die vielen anderen, die ihre Löffel in Hoch-Safran gelassen hatten.
    Der Colormann machte ein langes Gesicht. Er hatte damit gerechnet, dass ich in die Falle tappte.
    »Ausgezeichnet«, sagte er, ohne jede Rührung. »Guten Tag, Mr Russett. Wir werden uns wiedersehen, davon bin ich fest überzeugt.«
    Ich sagte ihm, darauf würde ich mich schon jetzt freuen, aber das interessierte ihn nicht. Der Pfiff ertönte, ich wünschte dem Colormann eine angenehme Reise, und der Zug rollte aus dem Bahnhof von Ost-Karmin.
    Einen Teil von mir nahm er mit.

Danksagung
    Zu großem Dank verpflichtet bin ich sowohl Hodder als auch Penguin. Beide Verlage haben mir den Luxus ermöglicht, diesen Roman schreiben zu

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