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Grau - ein Eddie Russett-Roman

Grau - ein Eddie Russett-Roman

Titel: Grau - ein Eddie Russett-Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eichborn-Verlag
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meinst du das?«, fragte ich.
    »Wir müssen ihn entfernen«, sagte sie. »Wir beide. Du und ich. Das wäre doch mal ein denkwürdiges Rendezvous.«
    »Tut mir leid«, sagte ich, weil ich hoffte, sie wollte mich nur auf den Arm nehmen. »Tod beim ersten Rendezvous geht mir zu weit.«
    Sie lachte. Es war ein betörendes Lachen. Doch dann verlangten wieder die Gelben ihre Aufmerksamkeit. Sie öffneten jetzt Regale und Schubladen, um nachzusehen, ob nicht Klappstühle darin versteckt waren, wie sie sich ausdrückten, und Jane beugte sich vor und flüsterte eindringlich: »Also gut, der Spaß ist vorbei. Du musst das hier jetzt beenden!«
    »Aber ich muss doch meine Stuhlzählung durchführen. Befehl von der Zentrale.«
    »Die Zentrale kann mich mal«, erwiderte sie. »Glaubst du vielleicht, die Gelben sind hier, um Stühle zu zählen?«
    »Wozu denn sonst?«
    Sie seufzte.
    »Meriten einstreichen, Blödmann. Sie benutzen deine Stuhlzählung als Vorwand, um unsere Habe zu durchwühlen und Regelverstöße zu protokollieren. Je mehr Ordnungsvergehen sie aufspüren, desto härter müssen wir arbeiten, um uns die Meriten wieder zu verdienen. Das können sie aber nur im Zusammenhang mit einer von der Zentrale verfügten, offiziellen Zählung machen, so lauten die Regeln.«
    »Ich fahre morgen nach Hoch-Safran.«
    »Ganz genau. Mit deinem Tod wird auch die Zählung eingestellt, deswegen nutzen sie die Gelegenheit, solange du noch da bist. Es ist nämlich so: Im Haus sind Sachen versteckt, die sie besser nicht finden sollten. Dinge, die im Verborgenen bleiben müssen. Falls sie entdeckt werden, können die Gelben die Zone nicht mehr verlassen, und sie werden unter irgendeiner Veranda oder sonstwo verenden. Vielleicht entdecken sie nichts, aber die Wahrscheinlichkeit ist gering. Willst du den Tod von vier Gelben auf dem Gewissen haben?«
    »Spielst du mir hier einen Streich, oder was soll das sein?«
    Sie starrte mich nur an, und mir war klar, dass sie es ernst meinte.
    »Was für ein Geheimnis hast du, für das du töten würdest?«
    »Halt die Suche an, Roter. Du kannst das Leben von vier Menschen retten, die du nicht besonders magst und die unsägliches Leid über uns bringen. Ein seltsames ethisches Dilemma, nicht?«
    »Kommst du mit nach Hoch-Safran?«
    »Das musst du schon alleine schaffen, Roter.«
    In diesem Moment kehrte Sally Schwefel zurück und verkündete barsch die Zahl der Stühle, die sie gefunden hatte. Bevor ich über Janes Bitte auch nur nachdenken konnte, war Sally schon ein Haus weiter gezogen und verlangte Einlass. Der Hausbewohner war ein älterer Grauer, der nicht so abweisend wie Jane war und in Panik geriet. Gerade noch erwischte ich Janes Blick, sie sah nach oben, zum Dachgeschoss.
    »Ich übernehme das obere Stockwerk«, verkündete ich. »Wird Zeit, dass ich auch mal Stühle zähle.«
    Die Gelben sahen sich an, doch wirkliche Einwände gegen meinen Vorschlag konnten sie schlecht haben, also kletterte ich die schmale Stiege hinauf, während Penelope und Bunty das untere Stockwerk abklapperten. Die Treppe verlief in einem Bogen, und als ich den obersten Absatz erreicht hatte, hielt ich inne in dem schummrigen Licht, das aus der Dachluke kam. Mein Herz raste. Ich packte die Klinke, und vorsichtig öffnete ich die Tür.
    Einzige Lichtquelle war ein Doppelfenster am anderen Ende, die dem Raum nur eine magere Ausleuchtung bescherte. Gerade eben noch konnte ich ein schmales Bett erkennen, einen Tisch, ein Schreibpult und eine Kommode aus Pechkiefer. Mitten im Zimmer stand der einzige Stuhl, darauf saß eine alte Frau, die eine einfache Leinen-Kittelschürze trug. Die Frau hatte kein Farbkennzeichen, auch keine Meritenabzeichen, und sie strickte an einem langen Schal, der in unregelmäßigen Falten zu ihren Füßen herabfiel. Ihre Hände waren krumm und schwielig, wie alte Wurzelstränge, und auch wenn ich ihr Gesicht im Einzelnen nicht erkennen konnte, sah ich doch, dass ihre Wangenknochen vorstanden und ihre schlaffe Haut in weichen Lappen herabhing, die beim Sprechen hin und her waberten. Hätte sie sich nicht bewegt, hätte ich sie für ausgedörrten Nachtabgang gehalten, wie man ihn gelegentlich findet.
    Sie unterbrach ihre Tätigkeit, als ich ins Zimmer trat, blickte jedoch nicht auf, lauschte nur einfach in die Stille hinein, auf sehr merkwürdige Weise.
    »Jane?«
    »Nein. Edward Russett.«
    »Der Sohn des neuen Mustermanns?«
    »Ja. Was machen Sie hier oben?«
    »Nicht viel«, antwortete sie. »Aber

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