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Grau - ein Eddie Russett-Roman

Grau - ein Eddie Russett-Roman

Titel: Grau - ein Eddie Russett-Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eichborn-Verlag
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ich habe mein Strickzeug, und abends im Bett höre ich die neueste Renfrew -Folge.«
    Sie fasste nach dem Glas Wasser, das neben ihr stand, aber sie sah nicht hin, schob nur ihre Hand über die Tischplatte, bis sie gegen das Glas stieß, und umklammerte es dann. Mir standen die Haare zu Berge. Ich spürte, wie ich anfing zu zittern. Ich hatte es hier mit einem Phänomen zu tun, dem ich noch nie zuvor begegnet war, und nie hätte ich gedacht, dass es mal dazu kommen würde.
    »Sie sind ja blind!«
    Sie lachte kurz auf.
    »Wir sind alle blind, Master Edward. Einige mehr, andere weniger.«
    »Aber das kann nicht sein«, stieß ich hervor. »Sobald sich Sehschwäche entwickelt, setzt Variante B ein, und dann … hören Sie, man sollte Ihren Fall untersuchen und Sie nicht hier oben auf dem Dachboden einschließen!«
    »Hm«, ließ sie sich vernehmen. »Jane hat mir schon gesagt, dass Sie etwas töricht sind. Ich muss mich versteckt halten, weil ich die Angst der Menschen zerstreue, und diese Angst ist ein Gut, auf das das Kollektiv dringend angewiesen ist.«
    »Nachtangst?«
    »Ja. Ein paar Menschen ohne Sehvermögen – wenn die frei herumlaufen, die würden mit diesem Blödsinn gründlich aufräumen, glauben Sie nicht?«
    »Das verstehe ich nicht.«
    »Wenn das so ist, dann erfüllen Sie nur, was von Ihnen erwartet wird. Was geht da unten vor?«
    »Die Schwefels streichen Meriten ein.«
    »Jane hat mir auch berichtet, dass Sie lernfähig sind«, sagte die alte Dame. »Ich schlage vor, Sie beweisen es mal. Es wird Zeit, dass Sie gehen.«
    Ich schloss die Tür zur Dachkammer und rannte nach unten, wo ich Jane in die Arme lief. Vorm Haus hatte sich eine größere Menge Grauer versammelt, die von den Feldern, aus dem Gewächshaus und der Fabrik herbeigeeilt waren. Manche hatten ein Werkzeug in der Hand. Die Stimmung heizte sich auf.
    »Hast du dich gut unterhalten mit Mrs Olive?«, fragte Jane.
    Nervös sah ich mich um, und die Menge erwiderte meinen Blick, schweigend.
    »Wie viele habt ihr versteckt?«, fragte ich Jane.
    »Sechzehn in der Grauen Zone, und einer wohnt über deinem Zimmer. Hauptsächlich versehrte Nachtabgänge, einige Rebooter. Fünf sind blind, und einer ist von der Hüfte abwärts steif. Für die Präfekten sind es ›Unzulässige Überzählige‹, ihnen Unterschlupf zu gewähren hat eine Strafe von zwanzigtausend Meriten zur Folge – das gilt für jeden, der im Haus wohnt oder ›nachweislich Kenntnis davon gehabt haben könnte‹.«
    »Unzulässige Überzählige?«, wiederholte ich. Der Begriff war mir noch nie zu Ohren gekommen.
    »Ich finde auch, das klingt ziemlich kühl. Wir nennen sie einfach nur ›Die Übrigen‹.«
    Mir fielen die Sandwiches ein, die Tommo für einen eingebildeten Freund im Flakturm hinterlegte. »Tommos Ulrika von der Flak«, sagte ich. »Weiß Tommo auch über die anderen Bescheid?«
    »Zum Glück nicht. Aber imaginäre Freunde füttern, das hat eine lange Tradition, und die Sandwiches sind immer willkommen. Kannst du dir vorstellen, wie schwierig es ist, Essen aus der Kantine herauszuschmuggeln?«
    Das konnte ich – die Essensaufseher waren befugt, jeden X-Beliebigen beim Verlassen herauszuwinken und zu durchsuchen. Zwischen den Mahlzeiten zu essen war strikt verboten.
    »Dann versuch das mal für sechzehn Leute – selbst wenn die Apokryphen auf deiner Seite sind, ist es schwierig.«
    »Perkins Muffleberry«, murmelte ich. »Zu Hause habe ich Essen für ihn in die hohle Buche gesteckt. Morgens war es immer weg.«
    Jane sah die Verzweiflung in meinem Gesicht und legte eine Hand auf meine Schulter.
    »Keine Sorge, Roter«, sagte sie. »Nur wenige kriegen überhaupt was mit. Von außen sieht alles schön und sauber aus, aber hinter der verschlossenen Tür wütet ein Feuer. Würdest du jetzt bitte endlich diesem Treiben hier ein Ende machen, bevor es noch schlimmer wird?«
    »Ja«, sagte ich leise, als mir das ganze Ausmaß der Verschwörung plötzlich deutlich wurde. »Ich glaube, du hast recht.«
    »Was haben Sie oben gefunden?«, fragte Sally Schwefel, als sie aus dem Nachbarhaus trat.
    »Ein dreisitziges Sofa und einen Sessel«, antwortete ich mit brüchiger Stimme.
    »Na gut«, sagte die Präfektin und begab sich zum nächsten Haus.
    »Warten Sie!«
    Sie blieb stehen.
    »Ich habe beschlossen«, sagte ich betont langsam, »bei meiner Stuhlzählung nicht ganz so … aufdringlich vorzugehen.«
    Die Gelben sahen mich böse an. Ich fing an zu schwitzen und versuchte, meine

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