Grau - ein Eddie Russett-Roman
hat, entspricht der gelben Farbvariante von Grün, deswegen brauchen wir die rote Variante von Violett. Die wirkt allem entgegen, was gerade in Lucy rumort.«
»Und das soll funktionieren?«
»Ich bin nicht umsonst im Haus eines Mustermanns aufgewachsen. Da lernt man solche Tricks.«
Das überzeugte Tommo, und wir geleiteten die zunehmend instabile Lucy zu den Hauptresidenzen.
»Guck auf die Tür, Lucy«, sagte ich. »Es wird dir gleich bessergehen.«
»Ich will aber gar nicht, dass es mir bessergeht«, stöhnte sie. »Sie haben ihn allegemacht, verstehst du?«
»Wie bitte?«
»Keiner hat irgendwen allegemacht«, erklärte Tommo. »Aus ihr spricht nur die Farbe.«
Gut möglich. Wenn ich beim Nachhausekommen meinen Vater mal ein bisschen limonisiert angetroffen hatte, hatte er auch immer kompletten Unsinn gefaselt, mit heruntergelassener Hose, auf der Anrichte stehend.
Eine geschlagene Minute lang starrte sie auf die Tür, aber wir konnten keine Besserung ihres Zustands feststellen. Ich fluchte, als mir klar wurde, warum es nichts half – Lucy hatte etwas Härteres zu sehen bekommen.
»Sie muss sich eine Portion Lincoln gegönnt haben«, sagte ich. »Schnell! Eine rote Tür!«
Wir zerrten Lucy vor Amaranths grell getönte Tür und baten sie, die Augen so weit wie möglich aufzureißen. Die Wirkung war unmittelbar und dramatisch. Lucy gab einen spitzen Schrei von sich, zuckte und hielt sich den Hinterkopf, als die negative Diskordanz einsetzte.
»Munsell ist Mumpitz!«, rief sie.
»Nicht so laut«, sagte ich, »und guck mir zuliebe noch einmal auf die Tür – und zähl fünf Elefanten ab.«
»Mist«, stöhnte sie, nachdem sie bis fünf gezählt hatte. »Bist du sonst auch so hellgelb?«
»Das ist nur deine Sehrinde, die sich rekonfiguriert«, erklärte ich. »Sie wird sich schnell erholen.«
Wir brachten sie nach Hause, wo sie sich auf den Fensterplatz plumpsen ließ, während Tommo ein Glas Wasser holte.
»Oh«, stöhnte sie. »Mein Kopf.«
»Wo ist das Lincoln?«, fragte ich sie.
Sie sah mich fahrig an. Ihr Blick schwirrte umher, als tastete sie meine Gesichtszüge nach einem Halt ab, ehe sie mich schließlich aufmerksam und durchdringend anstarrte, auf eine sehr seltsame Art, die mich unangenehm an meine Mutter erinnerte, die die gleiche Angewohnheit gehabt hatte. Mir war der Gedanke nie gekommen, aber gut möglich, dass meine Mutter auch gerne zu tief ins Grün geguckt hatte. Lucy schloss die Augen und fing an, leise zu schluchzen. Ich hielt ihr mein Taschentuch hin, und sie wischte sich die Tränen ab.
»Wo ist das Lincoln?«, wiederholte ich hartnäckig meine Frage.
Sie überlegte kurz, putzte sich die Nase und zeigte dann auf eine Ausgabe von Jello , die auf einem Tisch vor ihr lag. Ich blätterte in der Zeitschrift und fand rasch, wonach ich suchte. Ein unglaublich leuchtendes Muster von der Größe einer Ansichtskarte und einem so kräftigen Grün, dass der Raum von einer ansteckenden Aura verträumten Glücks erfüllt zu sein schien. Ich warf nur einen sekundenlangen Blick darauf, und augenblicklich badete ich in einem wohlig warmen, betäubenden Gefühl.
»Fünfhundert Meriten Strafe, wenn man dich damit erwischt hätte«, murmelte ich und wickelte das Farbmuster ein. Lucy zeigte nicht die geringste Reue, stattdessen packte sie mich am Handgelenk und sah mich durchdringend an.
» Sie haben meinen Vater getötet! «
»Lucy«, sagte ich. »Keiner begeht heute mehr einen Mord. Das ist nicht nötig. Dafür gibt es einschlägige Prozeduren.«
»Warum hat dann … ?«
Sie kam nicht mehr dazu, den Satz zu beenden. Tommo kehrte ins Zimmer zurück, und Lucy, die zunehmend blasser geworden war, übergab sich prompt auf den Boden.
Wir fanden einen Wischlappen und machten sauber, während Lucy sich dazu entschloss, ihren Rausch lieber auszuschlafen.
»Vielen Dank für deine Hilfe«, flüsterte Tommo, als wir wenige Minuten später aus dem Haus traten. »Wir können doch nicht zulassen, dass die zukünftige Mrs Fox am Ende noch belangt wird, weil sie hoch gesättigt in der Öffentlichkeit angetroffen wurde.«
»Lucy hat mir gesagt, jemand hätte ihren Vater ermordet.«
»Wie gesagt, da sprach das Lincoln aus ihr. Jeder wusste, dass ihr Vater sich Grünes Licht geben wollte. Die Präfekten haben beschlossen, eine Lüge zu verbreiten, zum Wohle des Dorfes. Die kommunale Strafgebühr wäre extrem hoch ausgefallen – für die Präfekten noch schlimmer.«
Das stimmte. Mit dem spektralen Rang
Weitere Kostenlose Bücher