Grau - ein Eddie Russett-Roman
gingen Privilegien einher, doch auch schwerere Strafen bei Fehlverhalten. Ein Präfekt konnte für ein Vergehen zum Reboot geschickt werden, für das ein Grauer nur mit fünfzig Meriten belangt wurde.
»Hat Lucy gesagt, warum er ihrer Meinung nach kaltgestellt wurde?«
Ich musste gestehen, dass sie keinen Grund genannt hatte.
»Siehst du. Zu viel Grün abgekriegt, eindeutig«, wiederholte Tommo. »Aber auch irgendwie heiß, die Nummer. Wahrscheinlich die reinste Wölfin bei DemEinen. Habe ich das eben richtig verstanden, dass sie dir Freundschaft angeboten hat?«
»Ja.«
»So eine Pleite! Wenn ich sie gefragt habe, hat sie regelmäßig abgelehnt. Ich bin sogar der einzige Rote, der nicht auf ihrer Freundesliste steht.«
Ich wollte diplomatisch bleiben.
»Vielleicht bist du für sie viel mehr als nur ein Freund.«
»Das muss es wohl sein«, antwortete er erleichtert. »Übrigens, wegen Rostberg – du vergisst doch meine Schuhe nicht, oder?«
»Du willst Schuhe, Lucy will einen Löffel, und Mrs Blut will eine Zuckerstückchenzange. Vielleicht sollte ich mir einen Einkaufszettel machen.«
»Nicht nötig«, sagte Tommo. »Das habe ich schon für dich erledigt.«
Ich sah mir seine Liste an, auf der so gut wie alles draufstand, was man sich wünschen konnte: Türklinken, Kinderwagen, Nagelschere, Glasschale, Butterteller, Einradreifen, Schnürbänder jeder Länge und ein Regenmantel, vorzugsweise blau. Letzteres war ziemlich dumm, weil ich die Farbe Blau gar nicht erkannt hätte. Tommo betrachtete meine Reise anscheinend als eine gute Möglichkeit, seinen Vertrieb zu erweitern.
»Das kann ich unmöglich alles besorgen!«
»Dann eben nur die Schuhe – und natürlich den Löffel für Lucy.«
Ford Model T
1.5.01.01.029 : Der Missbrauch von Heilfarben ist streng untersagt. Liste der verbotenen Schattierungen siehe Anhang IV-B.
Carlos Fandango fuhr pünktlich wie versprochen mit dem Ford vor und hupte zweimal. Er begrüßte Dad und mich herzlich mit Handschlag, brachte generös seine Zuversicht zum Ausdruck, dass wir eines Tages Freunde sein könnten, und sagte mir dann noch, ich solle die verleumderischen Dinge, die Tommo vielleicht von sich gegeben hätte, einfach ignorieren. Bevor ich erwidern konnte, Tommo habe nichts dergleichen geäußert, kam Amaranth mit einem Schreiner und zwei Handwerksgesellen an, die eine grob zusammengezimmerte Kiste brachten, für den Transport des Caravaggio. Er zeigte mir eine Straßenkarte, auf der das Haus, in dem sich das Gemälde befand, markiert war, und ermahnte mich, es ja nicht fallen zu lassen.
»Und falls Sie etwas Sonderbares sehen, riechen oder fühlen«, ergänzte er, »müssen Sie es nachher dem Rat melden.«
»Wie sonderbar muss es denn sein, dass man es melden muss?«, wollte mein Vater wissen.
»Unvergleichlich«, antwortete Amaranth. »Ich weiß, es klingt albern, aber kurz vor Ausbruch der Epidemie kamen Gerüchte auf, es gäbe dort Pukas. Eindrücke von Reisenden, die hier und da aufgetaucht sind. Aber achten Sie besonders auf Schwäne. Ein Cygnus giganticus carnivorum kann einen ausgewachsenen Menschen davontragen. Und Cygnets können zu dieser Jahreszeit täglich achtmal so viel fressen, wie sie wiegen.«
Dad und ich sahen uns verwundert an, nicht wegen der Warnung vor den Schwänen, die eine bekannte Gefahr waren, sondern weil Amaranth von Pukas gesprochen hatte. Ihre Existenz war mehr als zweifelhaft, so war es auch ausdrücklich in den Regeln formuliert. Selbst wenn man einen sichtete, war es daher besser, es nicht zu melden. Man wurde nicht für voll genommen.
Dorian G7, Fotograf und Herausgeber des Merkur , wartete mit seiner Kamera auf uns. Er nickte mir zur Begrüßung zu und bat uns, für ein Foto vor dem Ford zu posieren. Fandango zeigte sich recht ablehnend während der Aufnahme, und in dem Moment, als der Auslöser betätigt wurde, wendete er den Kopf zur Seite, was das Bild natürlich verdarb. Dorian hatte es auch bemerkt, sagte aber nichts und wiederholte die Aufnahme auch nicht. Fotomaterial war streng rationiert.
»Hier«, sagte er und übergab uns ein kleines Paket, »etwas Reiseproviant. Biskuitkuchen, mit Knochenmehl statt Weizenmehl. Sagen Sie mir später, ob er Ihnen geschmeckt hat.«
Wir kletterten an Bord, Fandango startete den Motor, und mit einem Ruck setzten wir uns in Bewegung. Ich hatte Glück, Dad erlaubte mir, vorne Platz zu nehmen, da er schon häufiger mit einem Model T gefahren war, und so saß ich ehrfürchtig neben
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