Grau - ein Eddie Russett-Roman
zufriedengeben?«, fragte die Angestellte an der Telegrammannahme, als sie meine lyrischen Ergüsse sah. »Das ist doch alles, nun ja, dummes Zeug.«
Die Frau, die die mittleren Jahre knapp überschritten hatte, erinnerte mich an meine zweifach verwitwete Tante Beryl. Sehr freundlich, doch auf unangenehme Weise direkt.
Ich versuchte mich damit herauszureden, dass ich meine Talente absichtlich unter den Scheffel gestellt hätte. »Constance möchte keinen Mann, der sie intellektuell herausfordert«, erklärte ich ihr.
»Na dann passt’s ja«, entgegnete sie und fügte, nachdem sie die Wörter zusammengezählt hatte, hinzu: »Sie haben noch Platz für drei weitere X, würde keinen Cent mehr kosten.«
Ich überlegte kurz und lehnte dann dankend ab. Constance sollte mich nicht für draufgängerisch halten. Mrs Blut bat mich, die Zeilenbrüche zu bestätigen und verlangte dann unverschämte zweiunddreißig Cent. Ich sagte, das sei wohl ein bisschen übertrieben, worauf sie mir mitteilte, sie sei bereit, mir die gesamte Gebühr zu erlassen, wenn ich ihr aus Rostberg eine Zuckerwürfelzange mitbrächte. Ich versprach, alles zu versuchen, und sie lächelte dankbar und sagte, sie werde meine Nachricht umgehend losschicken.
Das Rathaus war, wie Rathäuser eben so sind: geräumig und mit einem leichten Geruch nach gekochtem Kohl und Bohnerwachs. Sorgsam vermied ich es, den Präfektenteppich am Eingang zu betreten, bezeugte an der Stelle, wo das Buch der von uns Gegangenen auslag, mit einem Kopfnicken meinen Respekt und blinzelte zur Orientierung in die Düsternis. Am anderen Ende befand sich die Bühne, eingerahmt in hübschen Stuckornamenten aus Gips. Auf der einen Seite lag die Küche, auf der anderen Seite führten hohe Doppeltüren aus Eiche in die Ratssäle. Betreten war streng verboten, nur für zwanzig Minuten im Leben eines jeden Bewohners öffneten sich die Türen: Hier wurde der Ishihara abgehalten.
Ich nahm mir etwas Porridge und ein Brötchen mit der Regelportion Marmelade und setzte mich an einen der für Rote reservierten Tische. Die Kantine war noch recht leer, da die erste Frühschicht der Grauen bereits gegessen hatte und die meisten Chromatiker sich selten zu dieser Tageszeit aus dem Bett bemühten, es sei denn, sie waren zur Grenzpatrouille oder anderen Diensten eingeteilt. Ich entdeckte auch Jane, die gerade zu Ende gefrühstückt hatte, aber sie blickte nicht in meine Richtung. Tommo war ebenfalls dort, allzeit bereit, wie er sich ausdrückte, »mich davon abzuhalten, in gute Gesellschaft zu geraten«.
»Sie haben Travis gestern nicht gefunden«, sagte ich.
»Das wird schon noch. Sag mal, hast du vor, so eine nächtliche Schaunummer noch mal abzuziehen? Wir anderen stehen nämlich blöd da, wenn jemand von außerhalb so eine zwar sinnlose, aber ehrenwerte Aktion unternimmt.«
»Stell dir vor, du wärst in der Nacht abgängig gewesen. Was dann?«, gab ich zurück, doch Tommo zuckte nur die Schultern.
»Eine andere Frage«, sagte ich. »Wohnt noch jemand außer uns in unserem Haus? Ich meine im obersten Stock.«
Tommo sah mich an und hob fragend eine Augenbraue.
»Abgesehen von dem, über den wir nicht sprechen können?«
Ich nickte.
»Nicht, dass ich wüsste. Warum?«
»Ich dachte, ich hätte aus dem Zimmer über meinem was gehört.«
Tommo war mit seiner Aufmerksamkeit schon wieder woanders. Er hatte einen Kamm hervorgezogen, der erbärmlich wenig Zacken hatte, und fuhr sich hastig damit durchs Haar.
»Stichprobe?«, fragte ich ihn.
»Viel wichtiger. Tu mir einen Gefallen, und mach dich so unattraktiv wie möglich, ja? Ich weiß, es wird dir nicht schwerfallen – aber versuch dein Bestes.«
»Warum?«
»Deswegen«, sagte er und zeigte auf ein Mädchen, das gerade hereingekommen war. »Das ist Lucy Ocker, von der ich dir schon erzählt habe. Sie sieht mit jedem Mal umwerfender aus. Und weißt du, was mir am meisten gefällt?«
»Dass sie, indem sie sich mit dir einlässt, Sinn für Humor beweist?«
»Nein. Ihr Vater hat das Dorf im großen Stil bestohlen, ist aber nie dafür belangt worden. Lucy muss also auf einem Vermögen sitzen. Und wenn man verheiratet ist, heißt es teilen zu gleichen Teilen.«
»Im Grunde deines Herzens bist du doch ein hoffnungsloser Romantiker, was?«
»Wenn es um Geld geht, bin ich alles, was man von mir verlangt.«
Enttäuscht schüttelte ich den Kopf und wandte meine Aufmerksamkeit Lucy zu, der Tochter des ehemaligen Mustermanns. Sie hatte langes,
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