Grauen im Grand Hotel
erschienen war, oder arbeiteten sie beide an demselben Fall, ohne voneinander zu wissen. Das konnte zwar ein Zufall sein, aber es war nicht unmöglich. Dann hörte er Schritte.
Sofort stockten seine Überlegungen. Er lag stocksteif und bekam auch eine Gänsehaut.
Der andere war an der Tür. Diesmal wurde kein Schlüssel gedreht, die Tür schwang nach innen, und Wladimir konnte den grauen Ausschnitt erkennen, in den sich von der Seite her eine dunkle Hand hineinschob. Finger fanden den Schalter, klickten ihn nach unten. Über der Tür erhellte sich die Lampe.
Einer der beiden Gorillas stand auf der Schwelle. Starr glotzte er den Gefangenen an, so starr, daß Wladimir den Eindruck bekam, von gläsernen Augen angeschaut zu werden.
»Kannst du reden?« fragte er.
Argus gab keine Antwort. Er betrat das Verlies. Bereits nach dem ersten Schritt blieb er stehen, bückte sich und streckte den Arm aus. Zielsicher fand seine Hand die verfluchte Kettensäge. Er nahm sie hoch, hielt sie vor sein Gesicht, und es sah so aus, als wollte er sie küssen. Dann aber senkte er den Arm.
Die Gänsehaut auf dem Körper des Russen verstärkte sich. Einige Male mußte er sich räuspern, bevor er die nächste Frage stellen konnte. »He, willst du mich zerschneiden?«
Er bekam keine Antwort. Unschlüssig starrte Argus auf seine Säge, als hielte er sie zum erstenmal in der Hand und wußte nicht, was er damit anfangen sollte.
Wladimir überkam das bare Entsetzen. Auf der Zunge spürte er den bitteren Geschmack, als hätte er auf Metall gekaut. Der Schweiß rann ihm über die Stirn in Richtung Wangen und das, obwohl er lag. Argus hatte sich entschlossen.
Er ging den nächsten Schritt, dann noch einen.
Vor dem ›Tisch‹ blieb er stehen. In Brusthöhe sah der Gefangene den Körper vor sich hochwachsen. Er hielt die Säge schräg, daß ihre gezackte Unterkante über dem Körper des Russen schwebte. Über das Blatt hinweg glotzte er auf Wladimir nieder. Der erkannte, daß der Mann tatsächlich nur ein normales Auge hatte. Das andere bestand aus Glas.
»Wer bist du, verdammt?«
»Nenn mich Argus, den Zerstückler!« Er lachte dreckig und zerrte an der Anreißschnur des Motors.
Golenkow versteifte noch mehr. Er hörte das Stottern, hatte die wahnsinnige Hoffnung, daß dieses Instrument nicht anspringen würde, aber den Gefallen tat es ihm nicht.
Kreischend, als würden hohe Stimmen durcheinanderschreien, ›sang‹ die Säge ihre tödliche Melodie. Das gefiel Argus, denn auf seinen Lippen zeigte sich ein nahezu verklärtes Lächeln.
Er senkte das Instrument.
»Bist du verrückt?« keuchte der Russe. Er wunderte sich, daß er überhaupt noch sprechen konnte. Dicht über ihm zitterten die Zinken des Sägeblatts. »Du kannst doch nicht…«
»Vielleicht bin ich verrückt«, rief Argus in das häßliche Kreischen der Säge hinein, »vielleicht bin ich es.«
Wladimir Golenkow konnte nicht mehr sprechen. Alles war bei ihm blockiert, nur dieses verfluchte Geräusch hörte er und sah, wie sich ihm das Blatt der Säge näherte.
Der andere kantete es sogar, und es wies alles darauf hin, daß er schräg in den Körper schneiden würde.
Es hat doch alles keinen Sinn! schoß es Wladimir durch den Kopf. Das ist so verflucht sinnlos!
Argus machte weiter.
Er hatte die Lippen gespitzt, als wollte er die Melodie der Säge nachpfeifen. Und er bekam Kontakt.
Der Russe spürte es, aber er spürte keine Schmerzen, er hörte nur dieses grelle Kreischen, das durch den Keller gellte und von den Wänden als Echo widerhallte.
Es lag allein daran, daß dieses Sägeblatt nicht den Körper, sondern das Metallband berührt hatte.
Es schleifte darüber hinweg, es trennte es — und mit einem Sprung jagten die beiden Hälften nach rechts und links weg. Als dies geschah, lachte Argus so laut, daß er selbst das Geräusch der Säge übertönte. Dem KGB-Mann fiel ein dicker Stein vom Herzen. Drei Bänder hatten ihn festgehalten, jetzt waren es nur noch zwei.
Und auch die löste Argus.
Er war tatsächlich ein Meister im Umgang mit dem teuflischen Werkzeug. Nicht eine Schramme bekam der Gefangene ab. Nicht einmal die Kleidung wurde angeritzt.
Dann war er frei!
Er lag da, atmete heftig, wollte lachen, selbst das schaffte er nicht. In seiner Kehle war alles zu, er hörte sich nur keuchen, und der Schweiß floß wie ein Wasserstrom über sein Gesicht.
Es war einfach furchtbar, es war nicht zu fassen, und es war trotzdem einfach irre gut.
Argus war
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