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Graues Land - Die Schreie der Toten (German Edition)

Graues Land - Die Schreie der Toten (German Edition)

Titel: Graues Land - Die Schreie der Toten (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Dissieux
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Kreise auf einer ebenso einsamen und stillen Straße. Die kleine Welt, in der sie nun lebten, und die jemand so treffend als New Eden bezeichnet hatte, unterschied sich in Wahrheit nicht sehr von der grauen Welt jenseits des Tores. Auch wenn Leben vorgegaukelt wurde, so herrschte hier farbloses, erstickendes Schweigen.
»Wie viele Menschen leben in der Stadt?«, fragte Wulf und wandte sich von dem Jungen ab. Daryll und Demi liefen zu einem altertümlich anmutenden Steinbrunnen, in dem früher Wasser sprudelte.
»Wir waren genau zwanzig Menschen«, antwortete Joshua. »Mit euch sind wir vierundzwanzig.«
»Sie haben Meg vergessen«, erwiderte Wulf und betrachtete Demi. Sie schien in New Eden aufzublühen. Das Abendessen und eine erholsame Nacht hatten wahre Wunder bei dem Mädchen bewirkt.
»Oh, natürlich. Meg sollten wir nicht vergessen.«
Wulf erwartete, dass er näher auf das Befinden des fremden Mädchens eingehen würde, doch Joshua schwieg. Wulf nahm sich in Gedanken vor, bei der nächstbesten Gelegenheit mit Shoemaker über Meg zu sprechen.
Als sie das Ende der Straße erreichten, näherten sie sich weiteren Betonplatten, die als Zäune fungierten und den Rest der Stadt von New Eden abgrenzten. Wulf erkannte eine kleine, eiserne Tür, die in einen der Wälle eingelassen und mit schweren Riegeln verschlossen war. Der Anblick erzeugte kalte Furcht in seinen Gedanken. Zudem glaubte er, leise Geräusche zu hören, je mehr sie sich der Grenze ihrer Enklave näherten.
»Was ist das?«, fragte Murphy plötzlich mit angespannter Stimme. Es waren die ersten Worte, die er seit ihrem Aufbruch aus dem Hotel gesprochen hatte.
Joshua blieb stehen und warf sowohl Wulf als auch Murphy einen unbehaglichen Blick zu. »Ich finde, wir sollten wieder ins Hotel zurückgehen.«
Die Worte kamen schnell und hektisch, die Stimme klang nervös.
»Aber was ist das?«, unterstützte Wulf Murphys Frage. »Was ist dort hinter dem Wall?«
Joshua blickte ihn an und wirkte so unglücklich wie ein geprügelter Hund. »Sie sollten sich zuerst einmal etwas in New Eden eingewöhnen.« Der Versuch eines Lächelns misslang. »Alles andere werden Sie dann vielleicht verstehen.« Ohne eine Reaktion des Hünen abzuwarten, ging Joshua wieder die Straße zurück, wobei sein Schritt merklich schneller war als zu Beginn.
Wulf warf einen letzten Blick auf die verschlossene Tür in der Mauer. Die Geräusche von jenseits des Walls ließen ihn frösteln. Sie erinnerten ihn an leises, qualvolles Stöhnen. Vielleicht war es aber auch nur der Wind, der durch die Stoßkanten der Betonwände pfiff.
VI
Am Mittag stand Wulf am Fenster des Hotelzimmers und blickte auf die Straße hinaus. Ein paar Häuser weiter saß ein Junge von etwa acht Jahren auf den Stufen einer Veranda und spielte mit etwas, das er in Händen hielt. Er wirkte verloren inmitten der Kulisse idyllischen Lebens. So glücklich Wulf auch gewesen war, auf Überlebende zu treffen und in ihrer Gemeinschaft auf Hilfe und Sicherheit gestoßen zu sein, so sehr säte der Anblick der meisten Menschen hier auch kalte Zweifel in ihm. Man lebte zwar zusammen mit anderen Leuten, wurde durch die Stärke der Enklave beschützt und profitierte von den Fähigkeiten der einzelnen Menschen, doch es war offensichtlich, dass die Furcht und das Unverständnis nicht jenseits des Tores zurückgelassen wurden.
Wulf hatte selten ein Lachen gehört. Die Menschen zogen sich in ihre Häuser oder Zimmer zurück. Jeder arbeitete im Stillen an der Verarbeitung des Erlebten und am Begreifen der Tragweite der Katastrophe.
New Eden stand am Anfang seiner Existenz. Wulf fragte sich ohnehin, wie Joshua es in der kurzen Zeit geschafft hatte, diese kleine Festung aufzubauen. Vielleicht würden die verschiedenen Menschen hier, die allesamt Fremde füreinander waren, sich erst an das neue Leben gewöhnen müssen. Menschen wie Shoemaker oder Stevenson schienen von der Gruppe noch am Besten mit der Situation zurecht zu kommen und symbolisierten so etwas wie die Initiatoren der Enklave. Wulf besaß den Vorteil, dass er mit Murphy und den Kindern Menschen in seiner Nähe wusste, die nicht mehr fremd für ihn waren und von denen er wusste, dass er sich im Bedarfsfall auf sie verlassen konnte.
Doch was war mit dem Jungen auf der Veranda? Was war mit seinen Eltern geschehen? Wie war er nach Mayfield gekommen? Wulf konnte sich gut vorstellen, dass er in New Eden von einer Fremden aufgenommen worden war und mit ihr nun in dem kleinen Bungalow lebte.

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