Graues Land - Die Schreie der Toten (German Edition)
Suppe in die Nase stieg.
VII
In Anbetracht des Niedergangs einer Welt, die er sein Leben lang geliebt hatte, schmeckte Christines Essen geradezu fürstlich. Während ihrer Reise von Devon nach Mayfield war sich Wulf sicher gewesen, nie wieder den Geschmack eines derartigen Mahls auf der Zunge spüren zu dürfen.
Murphy hatte sich nach dem morgendlichen Rundgang mit Stevenson in sein Zimmer zurückgezogen und schlief wahrscheinlich. Daryll hatte Joshua um Erlaubnis gebeten, sich ein wenig in New Eden umsehen zu dürfen, und Demi war bei Dr. Shoemaker, der das Mädchen genauer untersuchen wollte.
Wulfs Blick fiel zum Bett, auf dem das Tablett lag. Er räumte den leeren Teller und die Obstschale darauf, legte die geleerte Flasche dazwischen und ging damit die Treppe zum Empfang hinunter. Der Eingang zur Küche befand sich hinter dem Tresen. Er stand einige Sekunden unschlüssig davor und fragte sich, ob sich Christine noch immer in der Küche aufhielt.
Gerade als er nach ihr rufen wollte, kam sie ihm zuvor: »Kommen Sie nur herein.«
Wulf zögerte einen Moment, denn immerhin betrat er Räume, die nur für das Personal des Hotels zugängig waren. Doch dann schüttelte er mit einem bitteren Lächeln den Kopf und nannte sich selbst einen ausgemachten Narren. Die Zeiten von autorisierten Bereichen und Unterschieden zwischen den einzelnen Menschen waren vorbei. Das Wenige, das geblieben war, war für alle zugänglich.
Er stieß die Tür mit dem Fuß nach innen auf und trat in die Küche. Christine saß an einem einfachen Tisch und blätterte in einer Zeitschrift. Vor ihr stand eine Tasse mit Kaffee.
»Hat es Ihnen geschmeckt?«
Wulf blickte kurz auf die leeren Teller und dann zu Christine. »Sie sind eine ausgezeichnete Köchin«, sagte er und stellte das Tablett auf einem schmalen Schrank ab. »Ich hätte nicht gedacht, dass ich in diesem Leben noch mal so gut essen werde.«
Christine wirkte sichtlich verlegen. »Es ist keine hohe Kunst, Dosen zu öffnen und den Inhalt zu erwärmen.« Sie deutete mit dem Arm auf den Stuhl, der ihr gegenüber stand. »Setzen Sie sich, Jim Brewster. Ich bringe Ihnen einen Kaffee.«
Während sie zu einer kleinen Maschine ging, auf der eine Kanne mit schwarzem, dampfendem Kaffee stand, nahm Wulf Platz.
»Sie können mich gerne Wulf nennen, falls Sie das möchten«, sagte er und betrachtete die junge Frau. Sie trug eine Jeanshose, die an den Knöcheln endete, und weiße Leinenschuhe. Dazu einen dünnen roten Pullover, der ihre schlanke Figur betonte. Wulf wurde auf schmerzliche Weise an Ellen erinnert. Sie hatte ebenfalls nicht viel für überteuerte, modische Kleidung übrig gehabt und die Gabe besessen, in einer einfachen Hose und einer normalen Bluse wie eine Königin auszusehen. Als sich Christine mit einer Tasse in der Hand wieder umdrehte, wandte er schnell seinen Blick ab.
»Jim gefällt mir besser«, antwortete sie mit einem Augenzwinkern und reichte ihm die Tasse. Er nahm den Kaffee entgegen und ließ den berauschenden Duft seinen Verstand erfüllen. Solche Kleinigkeiten erschienen ihm wie die Fragmente eines wundervollen Traumes, die sich in die Schwärze der Welt geschlichen hatten.
Sie stießen mit ihren Tassen an und tranken beide einen langen Schluck. Dann lehnte Wulf sich zurück und ließ seinen Blick durch die Küche wandern. Christine schien sich hier häuslich niedergelassen zu haben. Auf den Schränken konnte er unzählige Tüten mit Nudeln, sowie Dosen mit Früchten, Trockenfleisch und Körbe voller Kartoffeln sehen. In einer Ecke stapelten sich drei Kisten mit Limonade, daneben standen einige Plastikflaschen mit verschiedenen Säften.
»Sie sind Köchin?«, fragte er und sah Christine in die Augen, die seinen Blick bar jeder Furcht und Sorge erwiderten.
»Nein.« Sie schüttelte den Kopf und lachte. »Ich war Sekretärin einer Anwaltskanzlei hier in Mayfield. Aber da ich für mein Leben gerne kochte und auch zu Hause eine große Familie hatte, übernahm ich den Job der Köchin.« Ihr Lachen verschwand plötzlich. »So kann ich vergessen, dass zu Hause niemand mehr ist, für den ich kochen kann. Und ich kann zudem den Leuten hier auf meine Weise helfen. Ich glaube nämlich nicht, dass Joshua eine Sekretärin benötigt.«
»Darum auch nur Christine«, sagte Wulf leise.
Sie blickte auf ihre Hände, die sich um die Kaffeetasse gelegt hatten, und nickte. »Darum nur Christine. Alles andere ist in meinem Haus zurückgeblieben, einschließlich des Namens.«
Sie schwiegen einen
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