Graues Land (German Edition)
lag, ohne dass sich jemand um sie kümmerte. Das konnte sie nicht verstehen.«
Barrys Blick sucht meinen. Ich kann einen feuchten Schimmer darin erkennen.
»Keiner von uns konnte das verstehen. Shelley ist dann mit in ihr Zimmer gegangen und hat sie zu trösten versucht. Ich habe mich in der Zwischenzeit angezogen und bin losgegangen, um von irgendwoher Hilfe zu holen. Als ich die ganzen Leute da liegen sah, dachte ich zuerst an einen Anschlag. Ich dachte daran, dass irgendeine militante Bewegung den Terror jetzt in die Vororte der großen Städte getragen hat, um möglichst viele von der Zivilbevölkerung zu töten. Man hat die ganzen Tage ja nichts anderes im Fernsehen gesehen. Ganze Städte haben sie in Europa ausgelöscht. Ich hatte eine verdammte Scheißangst, als ich durch die Straßen in unserem Viertel gelaufen bin. Überall bin ich auf Tote gestoßen. Sogar Babys habe ich gefunden. Das war das Schrecklichste.«
Er faltet die Hände als wolle er beten. Obwohl ich Barry stets als einen gläubigen Menschen gekannt habe, bin ich mir sicher, dass sich seine Sichtweise auf Gott in den letzten zwei Wochen geändert hat.
»Ich wollte mich nicht zu weit vom Haus entfernen. Wollte Shelley und die Kleine nicht alleine lassen. Was ist, wenn diese Schweine, die das angerichtet haben, immer noch in der Gegend sind, dachte ich damals. Deshalb bin ich wieder zum Haus zurückgelaufen und habe mit Shelley unter vier Augen geredet. Demi war in den Armen ihrer Mutter eingeschlafen und lag nun auf der Couch im Wohnzimmer. Sie hat gestöhnt und unruhig geschlafen. Shelley war ebenso ratlos wie ich. Und sie hatte genauso viel Angst wie ich. Wir haben ununterbrochen versucht jemanden zu erreichen. Doch das Telefon war tot und über das Handy haben wir auch niemanden erreicht, obwohl es bei den Leuten, die wir angerufen haben, geklingelt hat. Auch im Fernsehen lief nichts. Einige Sender zeigten ein Notprogramm aus Zeichentrickfilmen, aber die meisten waren einfach abgeschaltet. Es war fürchterlich.« Wieder greift Barry zum Löffel und betrachtet sein verzerrtes Spiegelbild darin. »Als würde man in einem Alptraum leben und nicht mehr aufwachen können.«
Er schweigt eine Weile. Die Stille lastet plötzlich zentnerschwer über dem Haus. Doch ich stelle keine Fragen sondern warte darauf, dass Barry weiterspricht.
»Wir haben uns den ganzen Tag um Demi gekümmert«, fährt er schließlich fort, wobei er seiner Tochter zärtlich die Haare aus dem Gesicht streicht.
Scheinbar sind all die Worte ihres Vaters keine Neuigkeiten für sie. Auch nicht die Erwähnung ihres Freundes Dennis. Es schnürt mir die Kehle zu, als ich mir Demis mörderische Angst vorzustellen versuche.
»Das Kind litt am meisten unter dieser absurden Situation. Sie stellte tausend Fragen und wir konnten ihr keine einzige davon beantworten. Dazu bemerkte sie unsere eigene Furcht. Wir schafften es nicht, uns zu verstellen und Zuversicht auszustrahlen. Also haben wir begonnen, irgendwelche Spiele mit ihr zu machen. Irgendetwas, was wir sonst auch immer gespielt hatten. Doch keiner von uns war in der Lage, sich auf die Karten zu konzentrieren. Schließlich saßen wir einfach nur da und haben geredet, über alles Mögliche. Nur nicht über das, was sich direkt vor unserer Haustür befand. Wir haben geredet und gewartet. Aber nichts geschah.«
Barrys Stimme wird immer leiser.
»Das war unser erster Tag.«
Er steht auf, geht in die Küche und kommt mit seinem Whiskeyglas zurück. Ich sage nichts. Im Grunde kann ich ihn sogar verstehen.
»In der Nacht haben wir sie dann gehört. Ich kann dir nicht sagen was es war, denn die Geräusche von der Straße waren so grauenvoll, dass ich es nicht gewagt hatte, nachzusehen. Ich bin lediglich nach unten ins Wohnzimmer gegangen und habe durch einen Spalt im Vorhang geschaut. Im Dunkeln waren schattenhafte Kreaturen zu sehen, die flink über die Straße liefen und irgendetwas auf ihren gebeugten Rücken forttrugen. Dabei haben sie geknurrt und geheult als wären sie Tiere. Am nächsten Morgen waren alle Leichen auf der Straße und in den Vorgärten verschwunden. Auch die alte Mrs. Wellington und der kleine Dennis.«
Barry leert das Glas in einem Zug und stößt ein heiseres Keuchen aus, als der Alkohol seinen Magen wärmt.
»Wir sind dann ins Hospital gefahren. Ich sagte mir, wenn man uns irgendwo helfen kann und wir auf Menschen treffen, die das Gleiche durchmachen wie wir, dann dort. Auf der Fahrt haben wir gemerkt, dass
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