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Graues Land (German Edition)

Graues Land (German Edition)

Titel: Graues Land (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Dissieux
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mich vor meiner kleinen Enkelin dafür zu schämen. Die Kälte war ebenso vergessen wie die Feuchtigkeit des Grases, die sich langsam durch meine Pantoffeln fraß und sich meine Beine empor schlängelte.
    Nach einer Weile hatte Barry sich von uns gelöst und seine Hände auf meine Schultern gelegt. Wie man es mit einem kleinen Kind tut, hat er mein zerzaustes, viel zu langes Haar aus der Stirn gestrichen und mein Gesicht mit seinen Blicken abgetastet. Ich hatte seine Hände an den Handgelenken ergriffen, die Tränen in seinen Augen betrachtet und ihm immer wieder gesagt, wie schön es doch sei, ihn endlich mal wieder zu sehen.
    Barry hatte das Gleiche zu mir gesagt. Zumindest glaube ich das. Denn in diesen Augenblicken hatte ich den Sinn seiner Worte nicht verstanden. Ich hatte gesehen, dass sich seine Lippen unter seinem Schnauzbart bewegten, hatte seine Stimme gehört. Doch ich hatte ihn nur ansehen und in mich aufsaugen können. Dem, was er sagte, schenkte ich keine Beachtung.
    Demi hatte in der Zeit kein Wort gesprochen. Und das hatte sich auch im Haus nicht geändert. Vielleicht würde sie ja ihrer Großmutter anvertrauen, was sie ihrem Vater und mir nicht sagen wollte. All die Dinge, die in den wenigen Tagen ihre Kindheit zerstört hatten.
    »Das alles kommt mir so unwirklich vor«, fährt Barry nach einiger Zeit fort.
    Es fällt mir immer noch schwer zu glauben, dass mein Sohn hinter mir am Küchentisch lehnt und seine Stimme den Raum füllt.
    »So schwer es auch ist, aber das ist unsere neue Wirklichkeit.«
    Meine Worte erscheinen mir in diesem Augenblick so sinnlos und unpassend, dass ich mich am liebsten noch im gleichen Atemzug bei Barry entschuldigt hätte.
    Ich komme mir ungefähr wie jemand vor, der die richtigen Worte auf einer Beerdigung sucht. Egal, was man auch sagt, es sind immer die falschen Gedanken und diese vermögen die echten Gefühle kaum auszudrücken.
    Als ich mich zu Barry umdrehe, sieht dieser mich mit ausdruckslosem Blick an. Vielleicht hat er darauf gehofft, von mir eine andere Erwiderung zu hören. Doch sein alter Vater ist ebenso verzweifelt und in diesem fürchterlichen Alptraum gefangen, wie er selbst. Von dieser Seite kann er also auf keinerlei Hilfe hoffen.
    Ich senke meinen Blick, weil ich in Anbetracht dieser erschütternden Erkenntnis sein verzweifeltes Gesicht nicht ertragen kann. Stattdessen deute ich mit der Hand in Richtung Küchenschrank.
    »Du könntest den Tisch im Wohnzimmer decken. Das Essen ist jeden Augenblick fertig.« Ein bitteres Lächeln spielt um meine Lippen. »Und nimm Kerzen mit. Wir wollen doch nicht im Dunkeln sitzen.«
    »Warum benutzt du nicht den Generator?«, fragt Barry, während er zum Schrank schlendert.
    Er hatte mir früher oft beim Kochen geholfen, wenn er mit Shelley und Demi zu Besuch war. Daher weiß er, wo er alles finden kann.
    »Zu gefährlich«, antworte ich knapp und nehme den Topf vom Ofen. »Das Geräusch lockt diese Biester aus dem Wald.«
    Ich halte inne und drehe mich erschrocken zu Barry um. Wir hatten bisher noch kein Wort über die Shoggothen verloren. Und ich will meinem Sohn nicht noch mehr zusetzen. Demi und er scheinen auch ohne meine Gespenstergeschichten genug durchgemacht zu haben.
    Doch ein Blick in Barrys Augen verrät mir, dass ich ihn mit meinen Worten nicht erschrecken konnte. Er scheint zu wissen, wovon ich spreche. Diese Tatsache erschüttert mich und ich drehe mich schnell wieder zu meinen Töpfen um.
    Eine Zeitlang sind das Klappern der Teller und das Knistern der Holzscheite die einzigen Geräusche in der Küche. Dann erscheint Barry plötzlich neben mir und sieht mich an. Als ich aufblicke, erkenne ich einen düsteren Ernst in seinen Augen. Der Mann erscheint mir fremd, auch wenn er aussieht wie mein Sohn.
    »Wir können beim Essen reden«, sagt er schleppend. »Ich erzähle dir, was in Boston passiert ist.«
    Er will sich abwenden, doch dann hält er noch einmal kurz inne.
    »Und wieso ich nicht früher nach euch gesucht habe. Das werde ich dir auch erzählen.«
    Er lässt mich allein in der Küche zurück.
    Plötzlich kommt mir das Flüstern des Feuers im Brennraum des gusseisernen Ofens unendlich deprimierend vor.
    III
    Wir essen die Suppe, bestehend aus Kartoffeln und Gemüse, mit Heißhunger. Es ist seit Beginn der Katastrophe die erste richtige Mahlzeit. Selbst der Geruch bringt mich fast um den Verstand. Barry scheint es ähnlich zu gehen, denn er konzentriert sich mit kaum zu zügelnder Zurückhaltung auf

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