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Graues Land (German Edition)

Graues Land (German Edition)

Titel: Graues Land (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Dissieux
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wäre. Vielleicht hatte er das Leben damals einfach nur als zu leicht eingestuft – als zu selbstver- ständlich. Etwas, das man nicht weiter erachten muss, das einfach jeden Tag aufs Neue seinen programmierten Verlauf nimmt.
    Doch in dieser neuen Zeit ist nichts mehr selbstverständlich. Nicht einmal Kartoffeln und Gemüse, was ich mit zunehmendem Eifer und Hunger in meinem Topf verrühre. Dabei frage ich mich, wie sehr ich mich selbst verändert habe. Bin auch ich ... vernünftiger geworden?
    Ich denke mal, ich mache mir mehr Gedanken um mich selbst, um Sarah und um die Welt, in der wir nun leben müssen. Das sind Dinge, die ich in diesem Ausmaß früher nie getan habe, die jetzt allerdings unerlässlich sind.
    Nicht alles scheint schlecht in diesen Tagen. Der Untergang der Welt hat uns Überlebende dazu gebracht, zu uns selbst zu finden. Und das ist doch immerhin etwas.
    Die Oberflächlichkeit und die Blindheit, die Wunder des Lebens und der Natur als selbstverständlich zu betrachten, habe ich eingebüßt. Und dafür eine Sichtweise erhalten, die nichts mehr mit den Träumereien und Wunschgebilden meines alten Lebens gemein hat. Man lernt auf brutale Weise mit der Realität zu leben, und dieser neue Blickwinkel des Lebens erlaubt keine Flucht über die Grenzen hinaus.
    Hinter mir knarren Bodendielen. Als ich über die Schulter blicke, steht Barry in der Küche. Sein Glas Whiskey ist zur Hälfte geleert. Vielleicht hat er sich auch schon ein zweites eingeschenkt. Doch ich sage nichts.
    Er lehnt gegen den Küchentisch und sieht mich an. Sein Blick kommt mir unendlich traurig vor. Es tut weh, den eigenen Sohn in einem derartigen Zustand zu sehen.
    Unsere Blicke treffen sich.
    Selbst Barrys Augen haben sich seit seinem letzten Besuch verändert. Sie wirken dunkler und ernster.
    Mein erster Eindruck, als ich ihn auf der Wiese hinter dem Haus gesehen habe, wo er den Helikopter gelandet hat, war, dass seine Augen ihre Farbe verloren haben. Dennoch finde ich in seinem Blick dieselbe Liebe und Verbundenheit, die er mir seit seiner Kindheit entgegengebracht hatte. Daran hatten auch sein Umzug nach Boston und seine immer seltener werdenden Besuche nichts geändert. Es tut gut, in diesen abgestumpften Augen noch immer Wärme vorzu- finden.
    Mein Blick fällt auf das Glas. Dann wieder in seine Augen.
    Während ich mich dem Essen widme, sehe ich aus den Augenwinkeln heraus, wie Barry den Whiskey auf den Tisch stellt.
    »Es ist schön dich zu sehen, Dad«, sagt er mit leiser Stimme, als befürchte er, jemanden aufzuwecken.
    Ich blicke über die Schulter und lache.
    »Du hast mir das zwar schon ein paar Mal gesagt, aber ich höre es immer wieder gerne.«
    Barry lacht ebenfalls und schüttelt den Kopf.
    Die Begrüßung am Helikopter war herzlich gewesen und wir hatten beide zu weinen angefangen.
    Ungeachtet der lauernden Gefahren im nahen Wald, war ich in Pyjama und Morgenmantel in die feuchte Kälte hinausgerannt, hatte meine Augen gegen den allmählich verebbenden Sturm der Rotorblätter abgedeckt und war zu der offenen Luke gelaufen.
    Demi hatte in der Hocke dort gesessen, sich an zwei Haltestangen festgehalten und mich mit Tränen in den Augen angesehen.
    Als ich meine Arme nach ihr ausstreckte, war sie ohne zu zögern aus der Luke und auf mich zu gesprungen. Ihr Gewicht hätte mich fast von den Beinen geholt. Doch ich habe sie fest an mich gedrückt und mich in einem Traum gewähnt, den irgendein fürchterliches Schicksal jede Sekunde auf brutale Weise beenden konnte. Die Wärme des Mädchens an meinem frierenden Körper zu spüren, erschien mir in diesem Augenblick als das einzige Gefühl auf der Welt, das man sich mit keinem Geld erkaufen konnte. Ihr bebender Körper und das Zucken ihrer schmalen Schultern während sie weinte, zeugten von Leben und Trost. Ich wollte sie auf keinen Fall mehr loslassen.
    Doch dann war Barry aufgetaucht. Und ohne ein Wort zu sagen, hatte er seine kräftigen Arme um uns beide geschlungen. So haben wir neben dem Hubschrauber gestanden, eine lange Zeit, während das Summen des Motors immer leiser und tiefer wurde und man das Knacken der warmen Rotorblätter und der Karosserie hören konnte.
    Keiner von uns sagte etwas. Es gab nichts zu reden. Es galt einfach nur, diesen einen kostbaren und verloren geglaubten Moment auszukosten und auf das unweigerliche Ende des Traumes zu warten. Tränen füllten meine Augen, doch erst als ich Barrys Stimme hörte, begann ich hemmungslos zu schluchzen, ohne

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