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Graues Land (German Edition)

Graues Land (German Edition)

Titel: Graues Land (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Dissieux
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fällt, Erinnerungen an die alte Welt und mein gewohntes und geliebtes Leben wie ein schlechtes Fernsehprogramm einfach so abzuschalten. Sarah hat es nicht verdient, dass die Bilder ihres Lebens in dem immer trüber werdenden Nebel der Vergangenheit zurückbleiben.
    Doch scheint mein Unterbewusstsein auf seine egoistische Art gelernt zu haben, dass man hier nur überleben kann, wenn man sich voll und ganz nur auf sich konzentriert. Das eigene Leben retten, die eigenen Gedanken nicht dem Irrsinn anheimfallen zu lassen und den Kopf immer einige wenige Zentimeter über dem Gestank der neuen Ordnung tragen und gegen den Sog nach unten ankämpfen.
    Doch solcherart Gedankengänge erscheinen mir fremd. Es sind Betrachtungen von Menschen, die ich Zeit meines Lebens verachtet habe. Karriereorientierte Frauen und von der Gier nach Reichtum geleitete Männer, die sich ihren Weg rücksichtslos und mit einem gewissenlosen, kalten Lächeln im Gesicht durch die Masse ihrer Mitmenschen gebahnt haben. Menschen, auf sich selbst fixiert, selbstverliebt und voreingenommen, und ohne jede Form von Reue oder Scham.
    Habe ich mich wirklich in einen derartigen Menschen verwandelt? Beinhaltet diese Mutation die einzige Form des Überlebens in einer Welt, die tot und leer ist? Die sich weitergedreht hat ...
    Der Gedanke ist mir zuwider. Ebenso wie der Ausdruck auf dem selbst im Schlaf traurigen und abgekämpften Gesicht meiner kleinen Enkeltochter.
    Schnell wende ich mich von ihr ab, setze mich in einen Sessel, der Barry gegenübersteht, und stelle fest, dass er mich die ganze Zeit über beobachtet hat. Er hält sein Glas in Händen, als versuche er sich verzweifelt daran festzuklammern, und betrachtet mich mit dem gleichen Ausdruck in den Augen, mit dem ich bis vor wenigen Sekunden Demi angesehen habe.
    Hat er dieselben Gedanken wie ich? Hat er sich, ebenso wie ich, in einen dieser verhassten Egoisten aus der alten Welt verwandelt?
    »Demi hatte es nicht leicht in letzter Zeit«, sagt er und sieht mich mit traurigen Augen an. »Sie hat viel durchgemacht.« Seine Augen wandern langsam über das schlafende Mädchen. Seine freie Hand findet den Weg zu ihrem Haar und streicht es ihr aus der Stirn.
    Der Anblick, wie Demi ihren Kopf in völliger Geborgenheit auf den Oberschenkel ihres Vaters bettet, ist zu viel für mich. Meine Kehle schnürt sich zusammen und hindert mich am Atmen.
    »Du wolltest von Boston erzählen«, sage ich deshalb und scheue absichtlich Demis Anblick.
    Barry scheint mich erst nicht gehört zu haben. Er streichelt unablässig durch das zerzauste Haar seiner Tochter, ehe er mich ansieht und kurz nickt.
    »Was ich zu erzählen habe, wird dir nicht gefallen, Dad«, erwidert er schließlich mit leiser Stimme. Ich weiß nicht, ob er nicht mehr die Kraft besitzt, um lauter zu sprechen, oder ob er einfach nur Demi nicht aufwecken will.
    »Du wirst hier oben in den Hügeln nicht viel vom Untergang der Menschheit mitbekommen haben. Zumindest nicht die abscheulichen Dinge.«
    Mit den Gedanken an Danny und Cindy schüttele ich den Kopf.
    »Ich weiß sehr gut, was in der Welt vor sich geht«, erwidere ich mit schärferer Stimme als beabsichtigt. »Aber ich gebe zu, dass ich nicht alles verstehe. Vielleicht kannst du mir dabei helfen.«
    Barry sieht mich lange an und nickt dann.
    »Wir hatten uns im Hospital eingerichtet, nachdem wir schnell feststellten, dass wir dort am sichersten waren. Mit Brettern und schweren Schränken haben wir die Ausgänge und Fenster im Erdgeschoss und ersten Stock verbarrikadiert. Genau, wie du hier.«
    Sein Blick fällt auf die schwarze Wand des Fensters.
    »Wie ich schon sagte, waren wir zu sechst. Shelley, Demi und ich. Und dann Jerry, Becky und Mark, mein Arbeitskollege. Und ich weiß nicht, ob es die besondere Situation war, die uns zusammengeführt hatte, oder ob der Mensch sich wirklich so schnell an eine derart extreme Veränderung gewöhnen kann. Aber alle sechs kamen mit dem Erlebten erstaunlich gut zurecht. Selbst Demi. Sicher, es gab Tränen in den ersten Tagen und unzählige Gespräche, besonders zwischen den Frauen. Wir Männer brauchten nicht viel zu reden. Irgendwie lebten wir weiterhin nach dem dämlichen Leitsatz, dass Männer sich untereinander auch ohne große Worte verstehen.«
    Barry stößt ein kindisches Lachen aus, das mich an einen nervösen Schuljungen erinnert.
    »Männer«, sagt er und zuckt mit den Schultern. Doch sofort wird er wieder ernst.
    »Uns war schnell bewusst geworden,

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