Grave Mercy Die Novizin des Todes
»Aber ich denke nicht, dass es das ist, was Ihr begehrt.«
Er weiß Bescheid! Ich kann es in seinen Augen sehen. Irgendwie weiß er, was ich bin und warum ich hier bin.
Ich gerate in Panik und beginne zu faseln. »Es tut mir leid, gnädiger Herr, aber ich warte aufJean-Paul. Ich werde Euch Eurem Augenblick der Ruhe überlassen und mich zurückziehen.« Mit einer geschickten Drehung meines Körpers entwinde ich mich seinem eisernen Griff. Es ist nicht besonders kunstfertig, aber ich bin frei und fliehe auf die Tür zu.
Sobald ich im Flur bin, renne ich bis zur Treppe. Dann nehme ich immer zwei Stufen gleichzeitig und halte erst unten einen Moment inne, um mich zu sammeln. Ich schaue über meine Schulter, aber von Gavriel Duval ist nichts zu sehen. Also richte ich meine Röcke, drücke die Schultern durch und betrete dann die große Halle. Als Crunard mich sieht, löst er sich aus seinem Gespräch und kommt durch die Menge auf mich zu. Er zieht eine Augenbraue hoch. »Ist alles so, wie es sein sollte?«
»Es wird so sein, sobald wir von hier weg sind«, antworte ich.
Als er mich zur Tür geleitet, spüre ich ein Augenpaar, dessen Blicke sich in meinen Hinterkopf bohren. Ich weiß, wenn ich mich umdrehe und nachschaue, werde ich in Augen von der Farbe von Sturmwolken blicken.
N eun
ICH SITZE IM BÜRO der Äbtissin, und die ehrwürdige Mutter sieht mich scharf an, als sie sich vorbeugt. »Du bist dir sicher, dass er Duval gesagt hat?«
»Ja, ehrwürdige Mutter. Das war der Name, den er genannt hat. Ob er vielleicht falsch war? Er hat außerdem das silberne Eichenblatt des heiligen Camulos getragen«, füge ich hinzu, für den Fall, dass es irgendwie helfen wird.
Die Äbtissin sieht Crunard an, und er nickt widerstrebend. »Duval dient tatsächlich dem heiligen Camulos, wie alle Ritter und Soldaten es tun.«
»Trotzdem«, sagt sie. »Es wäre ein Leichtes, eine solche Nadel an sich zu bringen, um den Betrug abzurunden.«
Crunard rutscht auf seinem Stuhl umher. »Aber wenn es Duval war … «, wendet er ein.
»Es könnte andere Gründe für seine Anwesenheit dort geben«, bemerkt die Äbtissin.
»Es könnte«, stimmt Crunard widerstrebend zu. »Aber es ist auch möglich, dass wir in der Tat einen sehr großen Fisch gefangen haben.«
Die Äbtissin richtet ihren durchdringenden Blick wieder auf mich. »Wie hat er darauf reagiert, als er dich in dem Raum vorfand?«
»Er hat angenommen, dass ich für irgendeine Art von Tändelei dort sei, und zuerst hat er mit mir kokettiert. Dann wurde er ungehalten.« Ich will den Blick abwenden, voller Angst, dass sie in der Lage sein wird zu erkennen, wie schlecht ich meine Rolle bei ihm gespielt habe, aber das wird nur dazu führen, dass sie mich noch genauer beobachtet.
»Erzähl mir alles, was er gesagt hat. Alles.«
Und so wiederhole ich das Gespräch für sie, Wort für Wort. Als ich fertig bin, sieht sie Crunard an, der die Achseln zuckt. »Es könnte nichts bedeuten; es könnte alles bedeuten. Ich behaupte nicht länger, alle Feinde der Herzogin zu kennen. Sie verstecken sich nur allzu gut unter ihren Verbündeten.«
»Aber Duval …«, sagt die Äbtissin kopfschüttelnd. Sie lehnt sich auf ihrem Stuhl zurück und schließt die Augen. Ich kann nicht abschätzen, ob sie nachdenkt oder betet. Vielleicht beides. Während ihre Augen geschlossen sind, hole ich tief Luft und führe mir den gestrigen Abend noch einmal vor Augen. Dass Duval meinen Betrug durchschaut hat, erschüttert mich noch immer. Ich hatte gedacht, es gebe nur wenig mehr für mich zu lernen, aber der Abend hat bewiesen, dass ich in diesem Punkt falschlag. Ich schwöre, Schwester Beatriz’ Lektionen in den weiblichen Künsten mehr Aufmerksamkeit zu schenken. Vielleicht können Annith und ich sogar miteinander üben.
»Also«, beginnt die ehrwürdige Mutter und taucht aus ihrem Tagtraum auf. »Wir werden Folgendes tun. Baron Lombards Gäste werden die ganze Woche bleiben. Kanzler Crunard war auf dem Weg zurück an den Hof, aber dann hat er seine Meinung geändert, habe ich nicht recht, Kanzler?«
Er nickt, dann breitet er die Hände aus. »Ich fürchte, mein Pferd lahmte plötzlich.«
Die Äbtissin lächelt. »Also wird er natürlich mit seiner jungen Begleitung zu Lombard zurückkehren. Und du« – ihr Blick nagelt mich an den Stuhl – »wirst mit ihm gehen und einen Weg finden, Duval noch einmal in ein Gespräch zu verwickeln. Vorzugsweise allein. Mit ein wenig Glück kannst du ihn dazu bewegen,
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