Graveminder
sauber gemacht.« Byron war sich nicht sicher, was er erwartet hatte. Aber es bestand kein Zweifel, dass jede Spur, die er vielleicht gefunden hätte, mit der Chlorbleiche, die noch zu riechen war, weggeputzt worden war.
»Natürlich.« Chris schüttelte den Kopf. »Es geht doch nicht an, dass Rebekkah zurückkommt und Maylenes Blut noch an der Wand klebt. Hättest du das gewollt?«
»Nein, aber …« Byron umfasste die Küche mit einer Handbewegung. »Wie sollen wir herausfinden, wer es getan hat, wenn alles schon geschrubbt und gesaugt ist? Maylene ist ermordet worden.«
»Vielleicht solltest du mit deinen Einwänden zum Stadtrat gehen.« Chris folgte ihm nicht weiter ins Haus hinein. »Sieh dich ruhig um, wenn du glaubst, dass es dir dann besser geht. Zieh nur die Tür hinter dir zu, wenn du fertig bist.«
Byron holte tief Luft, um sich zu beruhigen, gab aber keine Antwort.
»Ich sehe dich dann morgen bei der Beerdigung … Kommt Rebekkah mit dir?« In diesem kurzen Satz stellte Chris alle Fragen, die er nicht in Worte fasste: Hast du sie erreicht? Kommt sie? Wirst du ihr helfen?
»Ja«, bekräftigte Byron.
»Gut.« Der Sheriff wandte sich ab und ließ Byron allein.
Weil es keinen Tatort zu sichern gibt, schoss es ihm durch den Kopf. Keinen Sinn für das Gesetz, die Privatsphäre oder sonst etwas Schützenswertes.
Byron ging durch das Haus. Hätte er gewusst, wie es in Maylenes Haus in letzter Zeit auszusehen pflegte, hätte er leichter erkannt, was nicht stimmte. Oder wenn nicht schon sauber gemacht worden wäre. Die Küche war ihm schon immer riesig groß vorgekommen, aber für ein altes Farmhaus war das eigentlich nichts Ungewöhnliches. Angesichts der Vorratskammer fragte er sich allerdings, ob nicht jeder einzelne Bewohner von Claysville einen Spleen hatte. Vor Jahren hatten die Mädchen felsenfest behauptet, die Tür dazu nicht öffnen zu dürfen, und damals hatte ihn das nicht weiter beschäftigt. Doch nun stand er sprachlos da. Der Raum selbst war mehrfach so groß wie einige der Küchen, die außerhalb von Claysville zu seinen Wohnungen gehört hatten. Regale reichten vom Boden bis zur Decke, und als er genauer hinsah, erkannte er, dass auf dem Boden Gleitschienen verliefen, mit denen man die vorderen Regale nach vorn und zur Seite schieben konnte. Dahinter befanden sich weitere, ebenfalls dicht bepackte Regale. Maylene hatte genug Nahrungsmittel eingelagert, um die ganze Stadt bekochen zu können.
Er zog ein Regal nach vorn und drückte es nach links.
»Verdammt«, flüsterte er. Die Regale waren von oben bis unten mit Whisky und Scotch bestückt. Eine Flasche nach der anderen, alle Etiketten nach vorn gedreht, nach Marken sortiert und fünf Flaschen tief.
Er hatte nie den Eindruck gehabt, dass Maylene betrunken war, und sie hatte auch nicht nach Alkohol gerochen. Aber ein Mensch benötigte unmöglich so viel Schnaps, es sei denn, er betrieb eine illegale Flüsterkneipe. Selbst wenn sich Maylene jeden Abend betrunken hätte, hätte sie Jahre gebraucht, um alle diese Flaschen zu leeren. Wenn das schon immer so gewesen war, dann erklärte es auch, woher Ella und Rebekkah vor vielen Jahren ihre anscheinend unerschöpflichen Alkoholvorräte bezogen hatten.
Byron schob das nächste Regal beiseite und entdeckte ein ähnlich dicht gefülltes Regal, nur dass es Flaschen ohne Etiketten enthielt, die mit einer klaren Flüssigkeit gefüllt waren. Er nahm eine Flasche heraus und drehte den Verschluss ab. Es knackte nicht, also war sie nicht maschinell abgefüllt.
Schwarzgebrannter Schnaps?
Er schnüffelte daran. Es roch nach gar nichts.
Kein Schnaps.
Er tauchte einen Finger in den Flaschenhals und führte ihn an die Zunge.
Wasser?
Das Wasser der Stadt wurde regelmäßig überprüft und war vollkommen in Ordnung. Die Lebensmittelhändler führten kaum Mineralwasser, denn sie fanden die Vorstellung töricht, Wasser zu kaufen. Außerdem stammten diese Flaschen eindeutig aus keinem Laden.
»Ich kapier’s nicht.« Byron untersuchte die Flasche in seiner Hand, drehte sie um, sah unter den Boden und unter den Deckel. Die einzige Kennzeichnung war ein Datum, das mit Permanent-Marker auf den Boden geschrieben stand. Selbst abgefülltes Wasser, genug Whisky für eine ganze Destillerie und so viel Lebensmittel, dass man Jahre davon leben konnte. Das ergab keinen Sinn, außer man bereitete sich auf eine Katastrophe apokalyptischen Ausmaßes vor. Maylene war nicht religiöser gewesen als jeder andere in
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