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Graveminder

Graveminder

Titel: Graveminder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Melissa Marr
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warfen sie in keine geheimen Kammern.
    Daisha war tot. Das Mädchen war schon tot.
    Die Warnungen seines Vaters hatten zu jenem Zeitpunkt weit weniger schwierig geklungen. Man muss diesen Monstern Einhalt gebieten. Das tote Mädchen hatte ein Kind gebissen, William verletzt und Maylene getötet.
    Dieses Mal löste Rebekkah ihre verschränkten Finger nicht, als sie zurück in den Lagerraum traten, daher schloss er den Schrank, der den Tunnel verbarg, mit einer Hand. In dem Moment, als der Tunnel nicht mehr zu sehen war, fühlte der Raum sich anders an, als mache ihn die Abwesenheit visueller Versuchungen weniger bedrohlich.
    Aber das stimmte nicht.
    Er hatte Rebekkahs Gesicht gesehen, als sie auf dem Balkon gestanden und über die Stadt der Toten hinweggeblickt hatte. Sie hatte Angst gehabt, aber unter dieser Angst war sie wie verliebt gewesen. Ihre Wangen waren gerötet gewesen, und ihre Augen hatten wie im Fieber geglüht. Einen Moment lang hatte sich sein Herz zusammengezogen, und er hatte sich gefragt, ob Ella diesen Blick gehabt hatte, als sie auf das Totenland hinausgesehen hatte. Vielleicht lag er falsch, aber etwas, das die Frauen dort gesehen hatten, war so verlockend gewesen, dass Ella das Ende ihres Lebens nicht hatte erwarten können.
    Würde Rebekkah das Gleiche tun?
    Vorsichtig setzte er den Seesack mit Alicias Waren zu Boden. »Was ist mit deiner Kleidung passiert?«, fragte er mit bewusst gleichmütiger Stimme.
    Sie hielt immer noch seine Hand, wandte sich vom Schrank ab und blinzelte ihn an. Das Kleid, das im Land der Toten grau gewesen war, barst im Land der Lebenden plötzlich geradezu vor Farben. Das satte Grün des Stoffs pulsierte förmlich vor dem sterilen Stahl und der gedämpften Eintönigkeit des Lagerraums.
    »Ich bin getroffen worden und habe geblutet.« Sie legte die freie Hand an die Rippen. »Nur ein Streifschuss. Charles hat dafür gesorgt, dass mir nichts passiert ist. Es tut nicht einmal mehr weh.«
    Byron stutzte bei der vertraulichen Erwähnung des Namens. Seine eigene Meinung über Charlie war alles andere als positiv, aber Rebekkah schien ihn anders zu sehen. Ihre jeweiligen Erfahrungen im Land der Toten konnten nicht unterschiedlicher sein. »Ich traue ihm nicht«, sagte er trotzdem nur, »aber ich bin froh, dass er dich beschützt hat.«
    »Ich auch.« Sie nahm die Hand von den Rippen. »Ich fühle mich gut, aber wenn er nicht …«
    »Er hat dich vor den Kugeln abgeschirmt. Darauf kommt es an. Hätte er mich im Tunnel nicht festgehalten …« Er unterbrach sich. »Wenn du erlaubst, sehe ich mir die Wunde an.«
    »Mir geht es gut, wirklich.« Kurz weiteten sich ihre Augen. »Eigentlich müsste es noch wehtun. Es hat geschmerzt, als ich drüben war, aber jetzt« – sie legte eine Hand auf die Seite – »fühlt es sich … gut an.« Sie sah ihm in die Augen. »Es ist weg.«
    Erschreckte es ihn, dass die Verletzung sich auf ihre Zeit im Land der Toten zu beschränken schien, oder war er dankbar, dass der Schmerz verschwunden war? Er hätte es nicht zu sagen vermocht. Würde der Schmerz zurückkehren, wenn sie wieder hinüberging? Oder war die Wunde geheilt, während sie den Tunnel durchschritten hatten? Wie bei so vielen anderen Themen hatte er mehr Fragen als Antworten. Offensichtlich konnten Gegenstände zwischen den beiden Welten hin- und hertransportiert werden. Sonst hätte Alicia keine Bestellungen bei ihm aufgegeben.
    Byron versuchte, die Besorgnis aus seiner Stimme zu verbannen. »Wahrscheinlich wäre es ratsam, dass ich mir die Verletzung ansehe.«
    »Klar … aber ich trage keine Unterwäsche, das heißt, ich muss mich ausziehen oder warten, bis wir anderswo sind.« Rebekkah zupfte an ihrem Rock. »Meine andere Kleidung ist völlig unbrauchbar geworden.«
    »Oh.« Der Gedanke an Rebekkahs Wunde wurde kurz von der Vorstellung verdrängt, wie sie verletzlich in Charlies Bett lag.
    Wahrscheinlich wollte er mich mit seinen Worten nur provozieren, dachte Byron. Das täte sie nie. Oder?
    Byron wusste nicht, was wirklich passiert war, und wollte auch nicht danach fragen. Wie hätte er mit dem Wissen umgehen sollen? »Ich trete dir nicht zu nahe, Beks«, sagte er stattdessen. »Ich bleibe ganz sachlich. Aber wenn es dir lieber ist, bitte ich Elaine, sich die Stelle anzusehen …«
    »Nein.« Rebekkah erschauerte. »Die legt mich womöglich noch auf den Sektionstisch.«
    Rebekkahs Versuch, die Stimmung zu heben, entlockte Byron ein leises Lächeln. »Wie ungnädig von

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