Graveminder
dir.«
»Wer gründlich arbeitet, kann nicht immer behutsam sein.«
Byron öffnete den Werkzeugschrank, in dem er seit seiner Rückkehr Ersatzkleidung aufbewahrte. Er fasste hinein, griff nach einigen Stücken und verstaute sie in dem Seesack, den Alicia ihm gegeben hatte. »Ich kann gründlich und behutsam sein.«
»Und sachlich?«, hakte Rebekkah nach.
»Soll ich denn sachlich sein?« Er zog sein Hemd aus. Viel Blut klebte nicht daran, aber immerhin genug, dass er ein sauberes benötigte. »Ist das die Lüge, die du immer noch hören willst?«
»Du begibst dich auf gefährliches Gebiet, Byron«, meinte Rebekkah warnend, aber sie tat nicht so, als sähe sie weg, während er sein Hemd auszog und es in die Gefahrenstoff-Tonne steckte.
Er nahm ein frisches Hemd aus dem Schrank, zog es jedoch nicht an. »Und?«
Sie riss den Blick von seiner Brust los und musterte den Boden vor sich. »Du brauchst dir meine Rippen nicht anzusehen. Mir geht’s gut.«
Er durchquerte den Raum und blieb vor ihr stehen. »Das war nicht meine Frage.«
Sie hob den Blick. »Du weißt genau, dass ich nicht … als Charles diese Worte gesagt hat … Ich meine, ich habe dort nur geschlafen und …«
»Ist schon gut«, unterbrach er sie. Nichts lag ihm im Moment ferner, als mit Rebekkah über Charlie zu sprechen. »Du bist mir keine Erklärung schuldig, das hast du überdeutlich gemacht.«
»Klar.« Sie legte ihm die Hände auf die nackte Brust. »Und ich kenne dich zu lange und glaube keine Sekunde lang, dass es für dich in Ordnung ginge, wenn ich mit Charles zusammen wäre … oder mit einem anderen Mann.«
»Vielleicht habe ich mich ja verändert.« Byron ließ die Hand über ihre Hüfte gleiten. »Vielleicht …«
Sie reckte sich und küsste ihn ausgiebig und langsam, und all ihre wiederholten Beteuerungen, sie sei nicht der Typ für Beziehungen, fühlten sich leer an. Sie berührte ihn nicht so, als sei sie nur beiläufig zärtlich zu ihm. Er hatte schon Verhältnisse vom Typ Freunde mit besonderen Vorrechten gehabt, und was er gerade erlebte, fühlte sich nach mehr an. So war es immer schon gewesen.
Bei ihnen beiden.
Sie löste sich von ihm. »Nein.«
»Was, nein ?«, fragte er.
»Nein, ich will nicht, dass du dich sachlich verhältst, und nein, du hast dich nicht verändert, aber im Moment nähme ich das wahrscheinlich in Kauf … wieder einmal. Und morgen früh würde es uns leidtun.« Sie trat zurück.
Er hatte versucht, seinen Zorn in Schach zu halten, doch jetzt entglitt ihm die Kontrolle ein wenig. »Unsinn. Mir tut es am nächsten Morgen nie leid. Du bist die Einzige mit diesem Problem.«
Und genau wie immer während der letzten zehn Jahre, wenn er versucht hatte, über Dinge zu sprechen, die sie nicht diskutieren wollte, wechselte Rebekkah das Thema. »Ich muss unbedingt Maylenes Tagebuch finden. Sie hat mir einen Brief hinterlassen und schrieb, in dem Tagebuch stünden Antworten. Ich habe schon danach gesucht, aber mir war nicht klar, wie wichtig es ist. Jetzt muss ich … ich bin mir nicht einmal sicher, was ich muss, doch da draußen läuft ein totes Mädchen herum, und ich habe keine Ahnung, wie ich sie aufhalten soll.«
»Sicher«, gab er knapp zurück.
Byron zog sein Hemd an, hob den Seesack hoch und ging auf die Tür zu, die in den Flur führte. Er hatte das Gefühl, auf einem schmalen Grat entlangzuwandern. Er konnte sie zwingen, den Tatsachen ins Auge zu sehen, oder er konnte sich ihrer gewohnten Ausweichtaktik beugen. Er allerdings wusste, dass sie über den Punkt hinaus waren, ihre Beziehung einfach abzutun.
Sie kann mit Mördern und verborgenen Welten umgehen, aber was zwischen uns ist … dazu kann sie nicht stehen, dachte er.
Mit kaum beherrschter Enttäuschung trat Byron beiseite, um sie vorbeizulassen.
Sie raffte ihren Rock und trat auf den Flur. »Kommst du mit?«, fragte sie, nachdem er die Tür zugezogen hatte. »Um das Haus zu durchsuchen, meine ich.«
»Das hatte ich vor. Zuerst allerdings muss ich etwas holen.« Er schloss den Lagerraum hinter sich ab. »Gestern Abend, bevor Dad … bevor ich ohne ihn zurückkehrte, sagte Dad, er habe in seinem Zimmer etwas für mich hinterlegt.«
»Und du hast es noch nicht geholt?« Sie warf ihm einen ungläubigen Blick zu. »Wieso das?«
Einen Moment lang starrte er sie an. »Weil ich dachte, in Anbetracht der Umstände sei es ein bisschen wichtiger, dich zu finden. Dad sagte, wir könnten nichts unternehmen, bevor du Charlie getroffen
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