Grayday
Rindfleisch verlieh. Sie war, überlegte Gaby, seit der Schule dicker geworden, Konfektionsgröße 42. Sophie hatte inzwischen einen Doktortitel in abstrakter Mathematik und verband hohe Einkünfte als Telekom-Expertin mit einer düsteren und feindseligen Haltung gegenüber Männern. In ihrem Stadthaus in Fulham gab es einen begehbaren Schrank voller Schuhe, winzigen spitzen Gebilden aus Seide und Leder, die Hunderte Pfund pro Paar kosteten und ihren Füßen wehtaten. Gaby betrachtete die beiden Heftpflaster an den nackten Fersen ihrer Freundin. Die arme Sophie mit ihren Träumen von zierlicher Anmut.
Sie erhob sich und schob die Tür zum Balkon auf. Sophie folgte ihr, und sie blickten auf das kostümdramahafte Gekräusel und Geglitzer von Chelsea, das sich im Fluss spiegelte.
»Ein schöner Blick«, schnaubte Sophie. »Aber reicht das? Ich meine, was hat Mr. Swift denn sonst noch zu bieten?«
Jetzt saß Gabriella also im Sake Souk, hörte zu, wie Guy sich durch seinen Hauptgang kaute, dachte darüber nach, was er sonst noch zu bieten habe, und ertappte sich schließlich dabei, dass sie den Blick des Mannes auf der anderen Seite des Raumes erwiderte. Er kam ihr bekannt vor, ein Schauspieler vielleicht.
Guy folgte ihrem Blick. »Kennst du ihn?«, fragte er eifersüchtig.
»Ich glaube nicht.« I don’t think so.
Guy genoss einen Moment lang ihre Stimme, die Art, wie ihr schöner Mund aus th ein f machte, ihr gelangweiltes, lang gezogenes i. Er hörte darin den gattungsmäßigen europäisch-weiblichen Ton von Technoplatten, eine Stimme, die zu sagen geschaffen war: Oh baby, you make me feel so good. Die unerschlossene Erotik von Gabriellas Akzent lenkte ihn von dem Problem ab, das der Mann am anderen Ende des Restaurants darstellte, er vergaß den eisigen Blick, den er ihm hatte zuwerfen wollen, und machte stattdessen einen Versuch, die Kluft zu überbrücken, die sich während des Essens aufgetan hatte.
»Schatz, ich habe gedacht, vielleicht könnten wir in diesem Sommer mal Thailand ausprobieren.«
Ihre Antwort war unerwartet gereizt.
»Ausprobieren? Warum denn? Willst du es kaufen?«
Sie sah ihn mit dem Ausdruck unbeschreiblicher Verachtung an. Hatte er etwas Falsches gesagt? Gaby war eine tolle Frau, aber sie hatte ihre Launen.
A ls der Wecker am Morgen klingelte, wankte Christine Schnorr aus dem Schlafzimmer und fand die Couch leer und die Reservesteppdecke ordentlich zusammengefaltet über eine der Armlehnen gelegt. Auf dem Kaffeetisch lag ein Zettel, auf dem er ihr ohne Interpunktion und in Großbuchstaben für den schönen Abend dankte. Als Nicolai laut ächzte und leidend nach Kaffee rief, durchdrang ein flüchtiges Unbehagen ihre Übelkeit. Hatte sie gestern Abend etwas angestellt? Später schickte sie von ihrem Arbeitsplatz bei Virugenix eine Mail an Arjun. Er antwortete nicht. In dieser Woche steckte Chris bis zum Hals in Arbeit, und das Schweigen dehnte sich zu mehreren Tagen, einem Wochenende. Am Montag darauf sah sie ihn in der Cafeteria und ging hinüber, um hallo zu sagen. Er sagte ebenfalls hallo und aß weiter. Sie fragte, ob er noch ein paar Fahrstunden nehmen wolle. Sie meinte es scherzhaft. Er nickte zögernd, sah ihr dabei aber nicht in die Augen und scharrte unter dem Resopaltisch mit den Füßen, als könne er es nicht erwarten, dass sie wegginge.
»Arjun, bist du wegen neulich sauer auf mich?«
»Entschuldigung? Oh nein, überhaupt nicht.«
»Ja, und warum benimmst du dich dann so?«
»Wie denn?«
»Du weißt genau, was ich meine.«
Er zog eine Grimasse und zuckte bockig die Schultern. »Ich bin nicht sauer, ich bin wunschlos glücklich. Ja, lass uns eine Fahrstunde machen. Schick mir ’ne E-Mail, okay?«
»Komm, Arjun, sei kein Arschloch. War es Nicolai?«
»Wer?«
»Ich habe dir gesagt, dass ich mit jemandem zusammenlebe.«
»Nein, hast du nicht.« Es entstand eine lange, quälende Pause, in der er um Worte rang. »Na gut, du hast es gesagt, aber ich dachte, du meintest bloß – das heißt – du hast mir nicht gesagt, dass du verheiratet bist.«
»Nicht verheiratet, Arjun, wir leben nur zusammen. Und wir – na ja, es ist nicht so, dass wir’s gerade ganz genau nähmen – hör mal, warum erklär ich dir das überhaupt? Ich will nur sagen, ich entschuldige mich, okay, egal für was. Ich möchte, dass wir Freunde sind.«
»Ich auch«, sagte er.
Das war Chris’ Stichwort, um endlich zu sagen, wir sehen uns irgendwann, und dann den Abgang zu machen. Wenn sie
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