Grayday
anfangen, dir komisch zu kommen, wird es Zeit für einen Schnitt. Und Mr. Arjun Mehta wurde allmählich ein Problemfall. Er würde sich wegen der Fahrstunden woandershin wenden müssen. Aus irgendeinem Grund kam aber Folgendes aus ihrem Mund: »Gut, also warum benehmen wir uns nicht wie Freunde und gehen einen Abend aus. Wir könnten was unternehmen – ich weiß nicht –, wir könnten doch versuchen, einen deiner Filme zu erwischen.«
Arjun machte ein verdattertes Gesicht. »Meine Filme? Du meinst indische Filme? Du möchtest einen Hindi-Film sehen?«
»Klar.«
Er blickte völlig ratlos drein.
»Toll«, sagte er unsicher. »Ich bin aber nicht sicher, ob dir das gefällt.«
Chris ließ nicht locker. »Lass es mich doch erst mal versuchen. Wie wär’s mit morgen Abend?«
»Äh, okay.«
Und so geschah es, dass sie schließlich zu einer Mall in Kirkland fuhren und sich einen Film ansahen, der sich um zwei junge Männer und zwei Frauen drehte, die dreieinhalb Stunden brauchten, um ihre Eltern zu überreden, sie in der richtigen Kombination heiraten zu lassen. Christine langweilte sich. Glaubte jemand ernsthaft, sie könnte den Typen in dem durchsichtigen Organdyhemd für cool halten? Der hatte doch einen an der Waffel, Herrgott noch mal. Und wie genau sind sie zu den Pyramiden gekommen? Da der Film ohne Untertitel gezeigt wurde, musste Arjun ihr die wichtigsten Punkte der Handlung zuflüstern, und während er verzückt dasaß, wanderten ihre Gedanken aus der Geschichte raus und wieder rein und folgten Überlegungen über die Echtheit oder Unechtheit des Bartes des älteren Typen, der Steine in der Halskette der Mutter, des vage an Denver-Clan erinnernden lachsrosa Palastes, in dem der Großteil der Handlung stattfand. Endlich waren die Hochzeiten gefeiert, und die Zuschauer strömten hinaus in die gedämpfte abendliche Beleuchtung der Mall. Chris sah sich unter den jungen asiatischen Paaren und den schnatternden Jungen- und Mädchengruppen um, die alle beseelt lächelten. Arjun hatte denselben Gesichtsausdruck. Zufrieden. Emotional gesättigt.
»Das«, sagte er und summte eine der Melodien aus dem Film, »war schon fast zu gut.«
Chris bemerkte drei andere weiße Gesichter, einen Mann und zwei Frauen, alle die Hälfte eines Paares, und alle blickten sie so verwirrt drein wie ihr zumute war. Schnell richtete sie ihre Aufmerksamkeit darauf, so etwas wie eine kritische Erwiderung zusammenzustoppeln: Arjun würde sie fragen, was sie denkt, und sie würde mit was Besserem daherkommen müssen als der Rätselfrage: Echter-Bart-echte-Felsen-echter-Palast, sonst wäre er beleidigt. Das Ganze war ja schließlich dafür gedacht, dass sie sich wieder versöhnten.
Daran gehindert, ihre Meinung zu äußern, wurde sie durch eine dieser plötzlichen und unerwarteten Begegnungen, denen man nur dadurch eine positive Seite abgewinnen kann, dass man sich sagt, noch schlimmer wäre es, wenn deine Mutter dabei gewesen wäre. Warum Tori und die Mannschaft aus der Frauenkneipe um Mitternacht in der Totem-Lake-Mall herumtorkelten, wusste niemand. Das Erste, was Chris davon mitkriegte, war, dass ihr Haar nach hinten gezerrt und ihr eine gepiercte Zunge als Mittelstück eines sehr nassen Zungenkusses in den Hals gerammt wurde.
»He, du kleine heiße Biene«, grinste Tori, ließ Chris’ Gesicht los und kniff sie neckisch in die Brustwarze. »Wie geht’s denn?« Eins-fünfundachtzig ohne Schuhe und durchtrainiert weit über jedes Pflichtprogramm hinaus, war Tori (so erzählte man sich im Scherz) zu spät geboren worden. Wäre sie vor 1989 schon in der Szene gewesen, hätte sie als Denkmal auf einem urbanen Platz im Ostblock Anstellung finden können. Eine Nervensäge war sie ohnehin, aber an diesem Abend, randvoll mit der bevorzugten Dröhnung dieser Woche, mit Augäpfeln wie Untertassen, heftig schwitzend und umringt von ihrem Fanclub in Bikerjacken, würde ihr Name jede Liste von Leuten anführen, mit denen Chris schüchterne heterosexuelle Männer aus Ländern mit konservativen Moralgesetzen nicht bekannt machen würde.
»Wer ist dein Kumpel da?«, fragte Tori und beäugte Arjun wie eine besonders zweifelhafte Zutat eines Fast-food-Menüs.
»Herrgott, Tori!«, schäumte Chris vor Wut. Die südasiatischen Filmfans aus Kirkland waren entsetzt, erstmals in ihrem Leben Zeugen eines lesbischen Kusses geworden zu sein. »Pfui!« zischelnde Eltern nahmen ihre Kinder auf den Arm. Halbwüchsige im Löcherlook erlebten eine jähe
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