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Grayday

Grayday

Titel: Grayday Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hari Kunzru
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große Frontfenster des Restaurants beobachtete Guy den abendlichen Verkehr, die gelben Scheinwerfer der Taxis, die schnittigen europäischen Wagen, die ihre Insassen vor Stätten diskreter Unterhaltung ablieferten. Er dachte über Geld nach, über dessen Entstehung und Verfall. Insbesondere über sein Geld, das sich unerklärlicherweise weigerte, in der erforderten Geschwindigkeit neu zu entstehen. Er war ein Mann mit laufenden Unkosten. Er wandte den Blick zurück zu Gabriella, die ein Auberginen-Kichererbsen-Dragonroll auf ihrem Teller herumschob und ihren unergründlichen Blick auf einen Punkt in seinem Rücken richtete. Sie sah wunderschön aus. Ihr Haar und ihre Augen, ihre Nase und ihre Zähne. Er legte eine Hand auf die Sitzbank neben ihren Schenkel. Er hatte seine Sorgen nicht erwähnt; Gabriella roch Geldklemmen und konnte sie nicht gut ertragen. Er hätte sie gern berührt, aber es kam ihm unklug vor. Gaby konnte das: unsichtbare Panzerungen zu ihrem Schutz hochziehen.
    Als Gabriella merkte, dass sie beobachtet wurde, lächelte sie und fuhr sich verlegen mit der Hand durch ihr langes braunes Haar. Guy lächelte zurück und versuchte sich beruhigt zu fühlen. Sie war fraglos die schönste Frau im Restaurant. Als er sie auf der Filmförderungsparty das erste Mal gesehen hatte, hatte er gehofft, sie könnte Mittelpunkt seines Lebens werden oder zumindest im Mittelpunkt der verschiedenen sich überschneidenden Wertekreise stehen, die seiner Meinung nach sein Leben kennzeichneten. Jetzt wagte er es, seine Hand auf ihren Schoß, über die glatte Oberfläche ihres Rocks gleiten zu lassen. Sie legte ihre Hand auf seine und tätschelte sie. Er war sich nicht sicher, wie das zu deuten war.
    Gabriella war viel zu sehr mit ihren eigenen Überlegungen beschäftigt, als dass sie Guys Besorgnis bemerkt hätte. Sie hatte sich in das Interieur des Restaurants aus dunklem Holz und weißem Leinen vertieft, eine Welt, in der Raum sich in eigenständigen platonischen Einheiten darbot, Nischen der Leere. Sie beobachtete Guy, wie er ein Häppchen von seinem Hamachi-Kebab zu sich nahm und dabei dieses irritierende Klicken mit seinen Zähnen veranstaltete. Von der gegenüberliegenden Seite des Raumes starrte ein Mann zu ihr herüber. Sie verspürte keinen Hunger.
    Wenn Leute nach einem Vergleich mit Gabriella suchten, fiel ihnen gewöhnlich Audrey Hepburn ein. Sie hatte die gleichen hohen Wangenknochen und die gleiche Miene aristokratischen Erschrecktseins darüber, im Stich gelassen worden zu sein, wo immer man ihr auch begegnete, eine Emigrantin aus einem besseren, freundlicheren Land. Aber im Gegensatz zur Hepburn gab es scharfe Kanten, das Verwilderte abgekauter Nägel und von Zigarettenrauch, was ihr das Flair potentieller Promiskuität gab, das Guy (und nicht nur er) unwiderstehlich fand. Gabriella wusste das. Über Unwiderstehlichkeit hatte sie mit zwölf etwas gelernt, als ein Freund ihrer Mutter sie im Zoo zu küssen versuchte. Im Reptilienhaus.
    Eine Multiplizierung von Nischen. Nichts als Belästigungen, wirklich.

    Am Abend zuvor war sie bis spät in die Nacht mit Sophie aufgeblieben, ihrer Freundin aus dem Internat in Sussex, wo sie ein unglückliches Jahr lang versucht hatte, ihr Abitur zu machen. Für Gaby war es damals wegen des Essens und der Anmache der Jungs eine harte Zeit gewesen und weil sie Ausländerin war. Für Sophie war es wegen des Essens hart gewesen und weil sie nicht an Jungs rankam. Gestern hatten sie sich auf dem Tropenhartholzboden von Guys Wohnung gegenübergesessen und es sich in ihrer jeweiligen früheren Rolle bequem gemacht: Sophie, die Gaby dabei zusah, wie sie etwas machte, in diesem Fall, auf einem gerahmten Foto von ihr und Guy beim Tauchen im Roten Meer Kokslinien zu ziehen. »Auf diesem Foto siehst du so glücklich aus«, sagte Sophie. Solche Sachen sagte sie ständig. Du hast so schöne Augen. Was ist das für ein hübsches Kleid. Es war einer der Gründe, weshalb sie Freundinnen geworden waren.
    Gaby sah hinunter auf die beiden Leute auf dem Foto, auf ihre salzigen Haare und die Masken, die sie sich auf die Stirn hinaufgeschoben hatten, und versuchte sich zu erinnern, wie sich ihre Maske angefühlt hatte. Darauf bedacht, ihre Haare beiseite zu halten, schnupfte sie eine Linie und sagte zwischen zugedrückten Nasenlöchern zu Sophie: »Im Moment ist er so ein Idiot.«
    Sophie war immer gierig darauf, Bosheiten über Guy zu hören, der nicht begriff, was sie sagte, und auf Partys über

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