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Grayday

Grayday

Titel: Grayday Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hari Kunzru
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Als Chris bewusst wurde, wie sie in einen halb ausgetrunkenen Pint Sammamish Steam Ale stierte, beschloss sie, den Wagen vor dem Lokal stehen zu lassen und früh aufzustehen, um ihn zu holen, bevor er ein Knöllchen bekam. Arjun hatte sich auf seine Ellbogen gestützt und starrte auf ihre Tätowierungen. »Die sind stark«, sagte er mit seinem komischen Zwischenakzent: amerikanische Vokale, die sich zwischen sirupartigen indischen Konsonanten verfangen hatten.
    »Es ist ein Stammeszeichen«, erklärte sie ihm.
    »Von welchem Stamm?«
    »Ich denke, von keinem direkt, Arjun. Ist eher ’ne allgemeine Sache. Einfach allgemein stammesmäßig.«
    Darüber grübelte er einen Augenblick.
    »Hatten denn deine Eltern nichts dagegen?«
    »Sie hatten da eigentlich nichts mitzureden. Ich wollte es machen, also habe ich’s getan. Ende der Durchsage.«
    »Aber warum?«
    »Warum? Ich wollte es halt. Nic und ich haben uns ungefähr zur selben Zeit in diesem Laden in San Francisco tätowieren lassen. Darauf stehen hier wirklich viele, Arjun. Es ist so was wie ’ne rituelle Handlung. Ihr in Indien tut’s doch auch, stimmt’s, die heiligen Männer oder wer auch immer …«
    Sie verstummte allmählich. Arjun hörte gar nicht mehr zu. Sein Blick war glasig.
    »Wer’s Nic?«, fragte er.
    »Ich hab dir doch von ihm erzählt«, sagte sie, merkte jedoch, dass sie es nicht getan hatte, jedenfalls nicht ausdrücklich.
    Er nickte und schob die Unterlippe zu einem scharfsinnigen Gesichtsausdruck nach vorn. »Ich glaube, ich muss nach Hause.« Als Arjun aufzustehen versuchte, kippte sein Stuhl nach hinten, und er taumelte gegen den Tisch. Bier ergoss sich über die Holzimitat-Tischplatte. Einer oder zwei von Jimmys Stammgästen drehten sich von der Bar zu ihnen um.
    Chris packte ihn am Arm. »Immer langsam, Partner. Lass uns einfach einen Schritt nach dem andern machen.«
    Es war ausgeschlossen, dass er es bis nach Berry Acres schaffen würde, und so fasste Chris eine Entscheidung und manövrierte ihn in Richtung ihrer Wohnung. Nicolai war nicht zu Hause, und sie deponierte Arjun auf der Couch im Vorderzimmer, suchte unbenutztes Bettzeug heraus und trank mehrere Gläser Wasser in der Hoffnung, den absehbaren Kater am Morgen wenigstens erträglich zu gestalten. Als sie wieder hineinging, um nach Arjun zu sehen, war er schon eingepennt. Sie sorgte dafür, dass er bequem lag, zog ihm die Sneakers von den Füßen, die über das Couchende baumelten, und breitete eine Steppdecke über seinen ausgestreckten Körper wie ein Leichentuch. Dann ging sie zu Bett.
    Als eine Stunde später Nic nach einem Abend mit seinen Kumpels besoffen und geil durch die Tür getaumelt kam, machte er solchen Lärm, dass Chris sicher war, Arjun würde aufwachen. Selbst als die beiden sich wie Teenager übereinander hermachten, Nic unverständliche bulgarische Sauereien schrie und jedes Mal ihre Hand von seinem Mund wegzog, wenn sie ihn zum Schweigen zu bringen versuchte, war aus dem Nebenzimmer nichts zu hören. Arjun lag wahrscheinlich im Koma.
    Leider nicht, obgleich er sich nicht erinnern konnte, wie er in das dunkle Zimmer gekommen war. Es drehte sich alles in seinem Kopf, sein Mund war ausgedörrt, und irgendwo links von ihm schrie jemand. Er lauschte und versuchte, sein Bewusstsein zusammenzuraffen. Die Laute anderer Menschen, die Sex miteinander haben, haben etwas an sich, was den Kopf klar macht, und nach und nach fühlte er sich durch die Wand zu den Lauten hingezogen, erkannte keuchendes Atmen, unterdrücktes Stöhnen und unverkennbar chrishaftes Gekicher unter dem rhythmischen Pochen des bumsenden Kopfendes. Sexgeräusche haben auch etwas an sich, das, wenn man mit einem beginnenden Kater auf einer klumpigen Couch liegt und die Füße ragen unter einer merkwürdig riechenden Steppdecke hervor, melancholische Gefühle auslösen kann. Einen Moment lang dachte Arjun über die kälteren und einsameren Seiten der Welt nach, dann versank er in einer turbulenten alkoholischen Leere.

G uy saß neben Gabriella in einer Nische im Sake Souk, einem jüngst eröffneten Restaurant in Mayfair. Immer wenn ein Kellner vorbeikam, sagte er was Geistreiches, und sie versprühte ihr bekanntes strahlendes Lächeln, aber sobald sie sich unbeobachtet fühlten, verfielen sie in quälendes Schweigen und kauten sich durch die japanisch-libanesische Fusion-food-Küche des Chefs, als nähmen sie deren modisch-schicke Kollisionen von Geschmack und Präsentation gar nicht wahr.
    Durch das

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