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Grayday

Grayday

Titel: Grayday Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hari Kunzru
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ihre Schulter sonst wohin blickte. Sie verdrehte teilnahmsvoll die Augen und wartete auf mehr. Gaby reichte ihr den zusammengerollten Geldschein.
    Guy hatte das Foto an die Wand gehängt. Es war der Beweis, dass sie zusammen waren und dies hier ihre Wohnung war, dass sie aufgrund gemeinsamer Erinnerungen, wie belegt durch Beweisstück A, auch eine gemeinsame Zukunft hatten. Gabriella für ihren Teil misstraute Schnappschüssen. Sie besaß nur sehr wenige eigene, vielleicht ein Dutzend festgehaltener Momente, die sie nicht so zusammensetzen konnte, damit sie ein Muster ergaben, ganz zu schweigen von einem Leben. Sie im Alter von fünf Jahren auf der Laufplanke einer Jacht in Griechenland, wie sie sich an der Hand eines Kapitäns festhält. Als Baby auf einem Teppich in der Wohnung in Wien. Spindeldürr und wütend mit dreizehn an einem Hotelpool in Singapur. Dann das Foto von der Hochzeit ihrer Eltern, ein protziges Ding im Format zwanzig mal fünfundzwanzig, das in einer Illustrierten abgebildet gewesen war. Sie trugen die extravaganten Hüte, Kragen und Halstücher von 1971 und waren von Leuten umringt. Finanzmann heiratet Mannequin, blättern Sie weiter auf Seite 86. Es gab auch eines von ihrer Schwester, die irgendwo, wo es heiß und trocken war, in die Kamera blinzelte.
    Sie war immer in Bewegung gewesen, sogar wenn sie alle zusammen waren. Geld trieb sie an. Zuerst war es das ihres Vaters, später gehörte es dem Freund ihrer Mutter. Es führte sie an verschiedene Orte, an denen sie in verschiedenen Versionen ihrer selbst gelebt hatte, jeder Ort war mit einem Kindermädchen und einer Schule und einer Adresse ausgestattet, die man sich einprägen musste, mit jeweils einer anderen Schar kleiner Mädchen, die zu einer Geburtstagsparty in ein teures Restaurant einzuladen waren, wo es immer einen Clown gab und keiner lachte. Nur eines blieb unverändert: Früher oder später wurde jeder und alles zurückgelassen.
    Als sie sechzehn gewesen war, war ihr Vater jemand, den sie in Hotels traf, und ihre Mutter dachte daran, sich wieder zu verheiraten, und so war Gabriella der spontane Einfall gekommen, mal nachzufragen, ob sie auf ein Internat gehen könne. Eine englische Mädchenschule wie die in Büchern. Damals meinte jeder, das sei die perfekte Lösung. Als es nicht funktionierte, kamen Lausanne und Paris und ihre eigene Arbeit als Mannequin und ein brasilianischer Fotograf als Freund und viel zu viele Drogen, aber seltsamerweise war es ihre Schwester gewesen, die Unabhängige, die mit ihrer Mutter wegen Schuld und Verantwortung herumschrie und die tödliche Überdosis nahm. Carolines Bewegung war vor allem quer durch Asien verlaufen. Strände und Ashrams. Goldschmiedekunst. Gegen Ende wurde die Bewegung immer schneller, nahm Züge einer Flucht an. Rückkehr nach Europa, wo Caroline immer einer Gruppe angehört hatte, als brauche sie Leute als Ballast, Menschen, die sie am Boden hielten. Politische und religiöse Gruppen. Selbstverwirklichung. Heilen. Es gab Zufluchtsorte und Kommunen. Fasten und Choräle. Dann Schlaftabletten am Fußboden eines Badezimmers in einem Bauernhaus in, wo war es gleich noch, Andalusien? Es war mühsam gewesen, genau herauszufinden, warum sie dorthin gefahren war. Wie so vieles in Gabys Leben ergab Carolines Tod keinen bestimmten Sinn. Er war einfach passiert.
    Auf der Beerdigung überzeugten ihre Eltern sich gegenseitig höflich davon, dass der Tod ein Zufall gewesen war. Aber Gaby wusste, wie sehr das Geld Caroline verfolgt hatte, wie sie es gehasst hatte, weil es ihr Leben zu einem Spiel machte. Als sie hörte, wie die beiden sich die Geschichte passend zurechtbogen, fand Gabriella ihre Eltern so schrecklich, dass sie noch am selben Nachmittag von Florenz abreiste und obendrein Paris und auch den Fotografen verließ. Und irgendwie war es dann London gewesen, wo sie gelandet war.
    Sophie, die in großen Schlucken Chardonnay trank und sich mit den Fingern die Nase rieb, plapperte: »Ich weiß nicht, warum du bei ihm bleibst. Natürlich ist Guy reich und alles. Oder zumindest scheint er reich zu sein. Heutzutage sieht man es den Männern nicht mehr richtig an. Eine Minute sind sie’s, und plötzlich merkst du, dass sie gar nichts haben.«
    Gaby betrachtete sie leicht angewidert. Unter der Kappe ihrer kostspielig gesträhnten Haare war das Gesicht ihrer Freundin von Wein und Kokain rot angelaufen. Hals und Wangen waren mit rosa Flecken gesprenkelt, was ihnen das Aussehen von durchwachsenem

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