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Grayday

Grayday

Titel: Grayday Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hari Kunzru
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zu ihrem Anderssein. Manche ihrer Charakterzüge waren stark durch ihre nationale Herkunft geprägt: Ihre Feindseligkeit gegen ihre Familie zum Beispiel. Andere, wie ihre Wut und diese neuen sexuellen Enthüllungen, hatten irgendeine geheimnisvolle andere Quelle.
    Wenn man von Priti und zwei Kusinen absah (Tanten zählten nicht), war Arjun nie lange mit Frauen zusammen gewesen. Natürlich hatte er keine Ahnung, wie er mit einer wütenden umgehen sollte. Als er Chris an ihrem Auto einholte, lief sie hin und her und wirbelte die Schlüssel drohend um ihren Finger. Als sie ihn erspähte, ließ sie eine Tirade vom Stapel, die durch das unterirdische Parkdeck hallte.
    »Ich glaub’s verdammt noch mal nicht, ich glaub’s einfach nicht. Was zum Teufel gibt dir das Recht, so mit mir zu reden? Ich bin dir für gar nichts Rechenschaft schuldig. Für gar nix, hast du verstanden? Yeah, ich habe mit Tori gevögelt. Na und? Ich meine, sind wir hier in Nazi-Deutschland oder so was? Wer bist du, dass du jemanden krank nennen darfst? Was gibt dir das Recht, jemanden zu richten? Weißt du was, leck mich am Arsch, Arjun. Leck mich! Du!«
    Sie riss die Wagentür auf und stieg ein. Der Motor sprang tosend an. Arjun verlor langsam die Fassung. Sein Vergehen war offensichtlich schwerer, als er befürchtet hatte. Warum? Was sollte man tun? Vielleicht gab es eine Körpertechnik, einen Feuerwehrgriff, den so genannten Heimlich-Handgriff für wütende Frauen. Chris begann den Wagen aus der Parkbucht hinauszufahren. Im verzweifelten Versuch, sie aufzuhalten, rannte er nach vorn und stellte sich vor den Honda. Als sie den Wagen mit einem Ruck vorsetzte, landete er ausgestreckt auf der Motorhaube.
    »Warum bist du so wütend?«, rief er unhörbar durch die Windschutzscheibe. Chris kurbelte ein Fenster herunter.
    »Geh verdammt noch mal von meinem Wagen runter!«
    »Es tut mir Leid«, flehte er. »Warum bist du wütend mit mir?«
    »Hau ab!«
    »Aber sag mir, warum!«
    »Weil – weil ich bigotte Arschlöcher wie dich nicht ausstehen kann. Bloß weil deine Religion oder was auch immer behauptet, Frauen sind deine Sklaven, bedeutet das noch lange nicht, dass ich da mitspiele. So, gehst du jetzt von meinem Scheißauto runter, oder muss ich dich überfahren?«
    Jetzt bekam Arjun Angst. Noch nie war ihm ernsthaft Gewalt angedroht worden. »Du darfst das nicht tun!«, schrie er. »Ich bin nicht religiös. Ich bin ein Rationalist! Bitte, Chris!«
    Chris lehnte den Kopf gegen das Steuerrad. Wie war sie bloß hier reingeraten? Der auf ihrer Motorhaube liegende Arjun sah aus wie ein langes, dünnes Beuteltier. Ein Lemure vielleicht. Oder ein Faultier. Ein Mall-Wächter trabte auf sie zu und sprach in ein Walkie-Talkie. Sie winkte ihn weg.
    »Schon gut, alles okay. Kein Problem.«
    Unsicher verlangsamte der Wächter den Schritt. Sie winkte wieder und schenkte ihm ein freundliches Guter-Bürger-Lächeln. Dann streckte sie wieder den Kopf durch das Fenster.
    »Steig ein.«
    Vorsichtig löste Arjun seinen Griff von den Scheibenwischern und schlüpfte auf den Beifahrersitz. Chris fuhr das restliche Stück aus der Parkbucht und steuerte auf die Ausfahrt zu. Arjun beschloss, ihr zu vertrauen. Es erschien ihm unwahrscheinlich, dass sie jetzt etwas Unbesonnenes tun würde.
    Seit dem Abend, an dem sie sich betrunken hatten, waren Arjuns Gefühle für Chris nicht mehr dieselben. Die Geräusche, die durch die Zimmerwand drangen, hatten die dünne Schicht romantischer Möglichkeiten abgetragen. Er begriff jetzt, dass es zwischen ihnen niemals eine echte Liebe geben konnte, nicht so, wie er sie sich vorstellte: Radha und Krishna, Devdas und Parvati, Raj und Bobby. Erst als die Illusion zerstört war, gestand er sich ein, dass er sie überhaupt in Betracht gezogen hatte. Was würden seine Eltern gesagt haben? Es wäre unmöglich gewesen.
    Sie waren schon auf der Autobahn, als er allmählich das Gefühl hatte, er könne jetzt wieder ohne großes Risiko den Versuch wagen, ihren Streit beizulegen. »Es tut mir Leid«, begann er wahrheitsgetreu. »Ich habe dich verletzt. Ich denke nicht, dass du krank bist, und ich habe keine juristische Erfahrung, und ich weiß, dies hier ist das Land freier Menschen und du hast alle Bürgerrechte, jederzeit alles zu tun, was du willst.«
    Chris gestattete sich, ein wenig besänftigt zu sein. »Das ist schon mal ein Anfang.«
    »Ich wollte nichts weiter wissen als – na ja, das Ganze ist ziemlich neu für mich. Ich nehme an, ihr bekommt

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