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Graz - Novelle

Graz - Novelle

Titel: Graz - Novelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Luftschacht-Verlag <Wien>
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ich dazwischenpasste.
    Ich sagte: „Wir?“
    „Ja, wir.“
    Dann stillte er seinen Hunger und den meinen. Seine Hände fanden die Knöpfe, den Reißverschluss. Ich fiel langsam zu ihm. Das Fallen war sanft, die Landung auch. Ich atmete durch seine Haut. Er roch süß und sauber. Er blies durch meine Kleidung durch. Ich hob meine Arme, ich ließ ihn gewähren. Ich hatte keine Ahnung, was ich sonst tun sollte. Ich wollte sehr gerne seinen Kopf mit den Händen festhalten. Ich legte sie letztendlich auf seine Schultern. Er sah lächelnd nach oben. Wie jung du bist, dachte ich. Wie hungrig du bist. Wie viel du willst. Dass du dich das traust. Ich musste nicht sterben. Beinahe fiel ich nach hinten um, mein Kopf war schon unterwegs, aber ich musste nicht sterben. Seine Hand kroch über meinen Bauch nach oben, packte mich in Brusthöhe an meinem Hemd und zog mich nach unten. Er wollte mir seine Augen zeigen. Seine Pupillen schwammen im Blau. Seine Lippen glänzten. Sein Kinn glitzerte. Er flüsterte etwas, das ich nicht verstand. Ich dachte: Das habe ich nicht gehört.
    Er beschimpfte mich. Danach drückte er mich von sich weg und spuckte neben seine Füße. Er wischte seinen Mund mit dem Ärmel ab, nahm eine Handvoll Schnee und wusch seine Hände, seine Zunge, sein Gesicht. Er stand auf und wankte auf seinen Beinen, als ob ich ihn betrunken gemacht hätte. Er gab mir noch ein paar Namen, an die ich mich nicht mehr erinnern will. Er röchelte einmal, sah sich noch einmal nach mir um und ließ mich dann bei Jahn zurück. Ich kann mich nicht von dem Gedanken lösen, dass er sich mit diesem letzten Blick entschuldigte.
    Mit angehaltenem Atem lief ich über die Glacisstraße nach Hause. Der Gehsteig war glatt und die Torbögen waren dunkel.
    Ich war in meinem Bett angekommen. Dort streckte ich meine Gliedmaßen aus.
    Ich blickte zum Plafond und fragte mich, ob ich den Tag, der kam, noch zu einem guten Ende bringen konnte. Gleich ging der Wecker. Ich forderte mich selbst heraus. Wenn ich es schaffe, bin ich mein eigener Held.
    Ganz ohne Hilfe fiel ich in den Schlaf. Es war der Schlaf eines Märtyrers. Jemand hatte meinen Körper in der Höhe meiner Mitte gepackt, und ich hing vornüber wie eine Puppe. Ich schlief, ich sah das Tanzen der schönsten Menschen, ich wurde von der ersten Straßenbahn Richtung Mariatrost wach, schlief aber mühelos wieder ein, denn ich wollte verschwinden, und Schlafen ist eine Form von Verschwinden.

Waking up begins with saying am and now
.
    ISHERWOOD

Carla läutete mich wach. „Freund“, sagte sie. „Es ist noch früh, aber nicht zu spät, um deine Kleider anzuziehen und mit mir zusammen zum Uhrturm hinaufzugehen. Wir schaffen es leicht bis sieben Uhr, wenn du jetzt deine Kleider anziehst.“ „Nein“, sagte ich einfach. „Ich habe eine kurze Nacht gehabt, Carla.“
    Ich legte auf und blieb nach Luft schnappend neben dem Telefon stehen, weil die Hälfte meines Atems auf dem halben Weg über die steile Treppe zurückgeblieben war. Ich hielt meine Hand bereit auf dem Hörer, denn so wie ich Carla kannte, würde sie mich gleich erneut anrufen.
    Zu meiner Verwunderung tat sie das dieses Mal nicht. Oben blickte ich lange auf meinen Wecker und schwankte zwischen noch einem halben Stündchen liegen und mit dem Tag beginnen. Ich wählte Ersteres, aber schlief nicht ein. In Gedanken legte ich Kleider zurecht, die nicht nach vergangener Nacht rochen. Ich wusch mich, ich rasierte mich. Meinen Hals besprenkelte ich mit Eau de Cologne. Meine Hände trocknete ich an meiner Brust ab. Ich musterte mich nicht im Spiegel. Ich fing kein Gespräch an.
    Um sieben tat ich das Meiste von dem, was ich gedacht hatte, und ich zog mich an und knöpfte vor dem Fenster stehend das Hemd zu.
    Es gelang mir, nur auf die dunkle Straße hinunterzuschauen, wie es da war. Bei Hürlimann schliefen die Kinder noch. Da würde sich erst alles in Bewegung setzen, wenn die Hertz Mädchen hinkamen.
    In der Veranda des Parkhotels funkelten alle Lichter. Das Kupfer im Speisesaal blinkte, das Holz glänzte. Die strahlend weißen Tischtücher gaben selbst auch Licht. Es gab nur einen Mann, der frühstückte. Die zwei Mädchen, die bedienten, standen tatenlos wartend da, das Tablett unter ihrem Arm, den Schlaf noch in ihren Augen. Ich verstand nicht, warum sie immer solch junge Mädchen nahmen, und warum diese Mädchen Uniformen trugen, die aus alten Kleidern von Mädchen zusammengestellt wurden, die früher da gearbeitet hatten. Karos,

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