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Graz - Novelle

Graz - Novelle

Titel: Graz - Novelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Luftschacht-Verlag <Wien>
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Herzschlag war der einer suchenden Seele.
    Inzwischen packte meine Hand nacheinander meinen Pullover, mein Hemd, mein Unterhemd. Dann lag nur noch die Brieftasche auf der Sitzfläche des Stuhls.

Heroes are rare
.
    BALDWIN

Ich klickte meine Haustüre zu und ging auf die Straße. Es war zwei vorbei. Unter meiner Hose trug ich meine Pyjamahose. Unter meiner Jacke trug ich zwei Pullover übereinander. Die Brieftasche in meiner Innentasche war die einzige Rechtfertigung für das, was ich gerade vorhatte. Darunter lag mein Herz.
    Niemand mochte mich hören.
    Ich umrundete die Ecke meiner Apotheke, bog in die Leonhardstraße ein. Dort überquerte ich die Straße gleich schräg, ging wieder um die Ecke.
    In der Glacisstraße war ich die erste Person, die Fußspuren im Schnee hinterließ. Das beruhigte mich. Zu oft muss ich Geschichten über die Glacisstraße hören, Geschichten, die die Leute meistens nur vom Hörensagen kennen, doch wo Rauch ist, ist Feuer. Ich blieb knapp beim Gehsteigrand. Als ein Auto vorbeifuhr, wurde ich langsamer.
    Auf Höhe der Attemsgasse machte ich den Fehler, mich in Richtung des Stadtparks umzusehen. Hinter den schwarzen Spitzen der Sträucher brannte viel Licht. Mehr Licht als früher. Vor einiger Zeit hatten sich die Leute der Stadtverwaltung über die Ecke, wo die Waldlillie steht, beklagt. Da wurden schon sehr oft Fäkalien auf und hinter den Bänken gesehen – und die waren nicht von Hunden. Unter den Sträuchern rund um den Brunnen angelten die Parkwächter wöchentlich Spritzen und Kondome hervor, und an der Stelle, wo Kinder tagsüber um den Brunnen Fahrrad fuhren, wurde nachts von Männern gedealt, die Waren mitbrachten oder mitnahmen. Grazer, aber auch Slowenen, Ungarn, sogar Kroaten. Sie kamen nicht mit dem Dreirad über die Grenze. Die Bewohner aus der Nachbarschaft bemerkten an den quietschenden Reifen, mit denen sie dann wegfuhren, dass da im Park Dinge passierten, die das Tageslicht nicht sehen durften. Ob die Stadt darüber informiert war?
    Ein Halbtoter war nötig, damit die Stadtverwaltung beschließt, ein paar Lampen mehr beim Forum anzubringen. Auf den Stufen hinter dem Gebäude wurde eines Morgens ein junger Slowake gefunden, der nicht nur schwer stoned war, sondern auch gerade am Verbluten, weil man ihm sechs Mal mit einem Küchenmesser in den Rücken gestochen hatte, und pling, da gingen die neuen Lichter an.
    „Und dabei reden wir nur von dieser Seite des Parks“, sagten die Leute in der Apotheke zu mir.
    Ich hatte eine Antwort auf Lager. „Vielleicht müssen wir davon ausgehen, dass der Park eine schlechte und eine gute Seite hat. Der schlechten Seite geht es jetzt besser.“
    Ich überquerte die Attemsgasse. Um an etwas anderes zu denken, schaute ich die Straße entlang: Ein paar Häuser weiter vorne war das Café Fotter. Wenn ich dort war, bekam ich von den älteren Damen, die da servierten, ständig etwas, das ich nicht bestellt hatte. Aus Kaffee machten sie Tee, und wenn ich den Tee zurückschickte, kamen sie mit Makava, was ich dann versuchte, lustig zu finden, denn Makava trinkt man, wenn man trendy ist und Student und ewig leben will.
    Der Teil des Parks, der größtenteils in Dunkelheit gehüllt war und von den Leuten die andere Seite genannt wurde, befand sich schräg vor mir. Hier und da ein bläulich schimmernder Lichteffekt um eine Laterne, und durch den Lichtfleck darunter dachte ich manchmal eine Silhouette laufen zu sehen. Dann beeilte ich mich und schärfte meinen Blick, aber jedes Mal schien es eine Sinnestäuschung gewesen zu sein.
    Es war schwer, meine Augen von der anderen Seite wegzuhalten. Ich bin mir der Dinge gerne gewiss.
    An der Ecke der Glacisstraße und der Heinrichstraße begegnete ich einem Mann. Ich erschrak, nicht weil er die erste Person war, der ich auf diesem kurzen Kilometer entgegenkam oder weil er getrunken hatte und an mir mit torkelnden Beinen vorbeilief. Ich erschrak deshalb, weil mir jemand anderer begegnete. Schau an. Ich war tatsächlich wieder einmal zu dieser Uhrzeit auf der Straße unterwegs. Ich dachte an den Hund, den ich nach dem Unfall die Straßenbahn habe nehmen sehen. Ich dachte bei mir, dass der Hund heute Nacht eigentlich das einzige lebende Wesen war, das kein Ziel hatte. Der Mann, der mich gerade gekreuzt hatte, versuchte sich bei jedem Schritt zu erinnern, wie sein Körper denn nochmal arbeitete, aber währenddessen schien er bereits nach irgendwo unterwegs zu sein.
    Ich auch. Ich war Hermann Eichler.

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