Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Grazie

Grazie

Titel: Grazie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chelsea Cain
Vom Netzwerk:
sie zu Hause war. Archie
Sheridan wurde vermisst. Sie musste ins Büro der Soko zurück. Sie
musste Henry suchen.
    Wo war ihre Mutter?
    Sie blickte auf die Biene. Sie hatte einmal einen Artikel über
eine fünfköpfige Familie in Lake Oswego geschrieben, die knapp einer
Vergiftung durch ausströmendes Kohlenmonoxid entgangen war. Das Gas war
geruchs- und geschmacklos. Die Haustiere waren tot umgefallen. Ein
Hamster und ein Vogel. Die Mutter war geistesgegenwärtig genug gewesen,
alle aus dem Haus zu schaffen. Eine halbe Stunde noch, hatte die
Polizei gesagt, und die ganze Familie wäre tot gewesen.
    Susan zog sich aus der Wanne, Badeschaum lief von ihrem
nackten Körper auf den Boden, und sie rutschte sofort aus und schlug
mit dem Gesicht voran an den Rand des Waschbeckens. Schreck und Schmerz
ließen sie klarer im Kopf werden, sie griff sich ein Handtuch und
wickelte es sich um den Körper, dann lief sie nach unten.
    Raus aus dem Haus. Sie musste es sich immer wieder vorsagen.
Denn wenn sie damit aufhörte, begann sie, an Schlaf zu denken. Wie
angenehm es wäre, nur für einen Moment die Augen zu schließen und das
Haus erst zu verlassen, wenn sie aufwachte. Aber sie würde nicht wieder
aufwachen.
    Raus aus dem Haus.
    Plötzlich war das Handtuch weg. Sie wusste nicht, wann sie es
verloren hatte. Sie musste es fallen gelassen haben. Nackt taumelte sie
die Treppe hinunter, Tränen strömten über ihr Gesicht. Nein, es waren
keine Tränen. Es war Blut. Von dem Sturz gegen das Waschbecken. Sie
blutete. Das Blut lief ihr in den Mund, es schmeckte süß und nach
Kupfer.
    Sie kam zur Eingangstür und sah jemanden auf der anderen Seite
der Scheibe stehen. Sie brauchte einen Moment, bis sie ihn ohne seine
Uniform erkannte. Es war Officer Bennett, vom Arlington, ihr
Beschützer, ihre Leibwache.
    Er war gekommen, um sie zu retten.
    Sie war nun an der Tür und wollte den Knopf drehen, um sie zu
öffnen, aber er ließ sich nicht drehen. Sie war eingesperrt. Sie war im
Haus eingeschlossen. Sie machte Bennett ein Handzeichen, deutete zur
Tür, um anzuzeigen, dass sie sie nicht öffnen konnte, dass er sie
herausholen sollte.
    Doch er stand nur da.
    Sie drehte wieder am Türknauf, aber er rührte sich nicht.
Etwas stimmte nicht. Der Verschluss war in der richtigen Stellung. Die
Tür musste eigentlich aufgehen. Sie klopfte ans Glas, ihre Hände
hinterließen nasse Abdrücke. »Die Biene ist tot«, rief sie.
    Bennett stand nur auf der anderen Seite der Tür und sah sie
an, dann hielt er ihre Hausschlüssel in die Höhe. Es war ein strahlend
schöner Tag, hinter Bennett sah Susan den blauen Himmel, den kein
Wölkchen trübte, und den Bambus, den ihre Mutter in einem Topf auf der
Veranda gepflanzt hatte, und Susans liebsten Rhododendron, den
scharlachrote Blüten schmückten.
    Sie fühlte sich benommen. Es erinnerte sie daran, wie sie auf
dem College einmal zu viele Haschkekse erwischt hatte und auf dem
Sitzsack eines Freundes ohnmächtig geworden war. Sie hatte mit dem
Gesicht auf der Hand geschlafen, und als sie wieder aufwachte, hatte
sie einen Abdruck ihrer Armbanduhr auf der Wange gehabt. Langsam sank
sie zu Boden.
    Sie sollte doch etwas tun … Das Haus verlassen.
    Sie könnte jemanden anrufen. Aber das Telefon war so weit weg.
    Dann hörte sie ein Geräusch, und als sie aufblickte, sah sie
Bennetts Gesicht flach an die Scheibe gedrückt, die Augen geschlossen.
Er blieb einen Moment so, wie ein Kind, das hinter einem Fenster
Grimassen schneidet. Dann rutschte er an der Scheibe nach unten, bis
ihn Susan nicht mehr sah, sondern auf der hölzernen Veranda aufschlagen
hörte.
    Die Tür ging auf. Jemand hob Susan hoch und begann, sie aus
dem Haus zu schleifen. Sie spürte, wie ihre Fersen an die Türschwelle
schlugen und dann auf die Stufen der Treppe. Schließlich lag sie im
Gras. Das Gras fühlte sich kühl und weich an, und sie war froh, dass
sie endlich schlafen konnte. Sie blickte auf und sah ihre Mutter.
    »Hallo, Mom«, sagte Susan schläfrig.
    »Ich habe ihm den Buddha über den Schädel geschlagen«, sagte
Bliss.
    Susan zwang sich, wach zu bleiben. Atme, sagte sie sich. Ihre
Brust hob und senkte sich, füllte sich mit Sauerstoff, ihr Kopf wurde
mit jedem Atemzug ein bisschen klarer. »Du lieber Himmel, Mom«, brachte
sie heraus. »Du hast einen Polizisten getötet.« Sie schloss die Augen.
»Ruf Henry an. Geh nicht ins Haus. Da strömt Kohlenmonoxid aus.
Bennett. Er hat mich eingeschlossen.«
    »Ich habe kein Handy«, sagte

Weitere Kostenlose Bücher