Green, Simon R. - Todtsteltzers Erbe
blind, so von dir selbst besessen? Du ge
fährdest die königliche Hochzeit, verrätst Douglas
und sorgst dafür, dass Lewis sich in dich verknallt,
und dann fragst du, warum ich mich so aufführe?
Werde erwachsen, Jes! Das ist keine Romanze hinter
den Kulissen, ein Kurzflirt, um die Klatschmagazine
zum Zwitschern zu bringen! Das ist Verrat, Jes. Ich
hätte deinen Namen von vornherein nicht erwähnen
dürfen. Ich hätte wissen müssen, dass du es ver
pfuschst.«
»Sieh mal, ich habe doch gesagt, dass es mir Leid
tut! Ich habe gesagt, dass es nicht wieder vorkommt!
Was erwartest du noch von mir?«
»Ich möchte, dass du loyal zu Douglas stehst. Ich
möchte, dass du dich wie eine angehende Königin
benimmst und nicht wie ein hochnäsiges Flittchen,
dem das Höschen juckt. Ich möchte, dass du die Fin
ger von Lewis lässt! Es ist ja nicht so, dass er dir ir
gendetwas bedeutet. Ich kenne dich, Jes.«
»Nein, das tust du nicht. Du kennst mich über
haupt nicht. Lewis ist … etwas Besonderes.«
»Ja. Ja, das ist er. Er hat Besseres verdient als
dich. Er begreift nicht, dass das für dich nur ein Spiel
ist. Ich möchte nicht, dass er verletzt wird. Also halte
dich von ihm lern. Er kann dich in seinem Leben
nicht gebrauchen.«
»Er braucht jemanden.«
»Er braucht jemanden, der sich etwas aus ihm
macht!«, entgegnete Anne hitzig. »Jemand, der für
ihn sorgt. Der ihn nicht nur benutzt, weil er gerade
verfügbar ist, und ihn dann wie ein vollgerotztes Pa
piertaschentuch wieder wegwirft! Wie du es schon
mit so vielen vor ihm getan hast.«
»Das ist nicht fair! So war es nicht! Lewis ist an
ders …«
»Das stimmt. Lewis ist anders – anders als du, an
ders als ich. Er weiß, was Pflicht und was Ehre be
deuten. Oder zumindest wusste er es, ehe er dir be
gegnete. Falls du irgendetwas für ihn empfindest,
dann lasse ihn in Ruhe. Ehe du ihn vollständig zer
störst. Er ist ein guter Mann. Du bist seiner nicht
würdig.«
Jesamine fuhr hoch, die Wangen in Flammen, und
boshafte, unverzeihliche Worte bebten ihr auf den
Lippen, Worte, die niemals zurückgenommen und
niemals verziehen werden konnten. Worte, die das
Ende ihrer ältesten Freundschaft bedeutet hätten. Sie
stand einen Augenblick lang da und atmete schwer
und schluckte die Worte irgendwie herunter. Aber sie
hatte auch sonst nichts mehr zu sagen, also wandte
sie sich ab und stürmte aus Annes Büro, weg von
Annes anklagendem Blick, und knallte die Tür so
heftig hinter sich zu, wie sie es nur zuwege brachte.
Und dort draußen auf dem Korridor erblickte sie Le
wis Todtsteltzer, der direkt auf sie zukam.
Ein Teil von ihr wollte sich umdrehen und flüch
ten, aber sie tat es nicht. Jesamine hielt stand, wäh
rend Lewis näher kam und direkt vor ihr stehen
blieb. Sie atmete schwer, und das Herz hämmerte ihr
in der Brust. Ihre Blicke begegneten einander, und
alle guten Vorsätze waren vergessen. Sie hielten auf
Distanz, und jeder hoffte, der Wahnsinn möge vorü
bergehen, aber das geschah nicht. Nur der Anblick
des anderen war nötig, und das Herz raste los. So
sehr sie es auch leugnen mochten, sie waren fürein
ander bestimmt; und weder König noch Parlament,
weder Pflicht noch Ehre konnten sie auseinander hal
ten.
»Was tust du denn hier, Lewis?«, fragte Jesamine
schließlich, und ihre Stimme war richtig angespannt
vor lauter Mühe, entspannt zu wirken.
»Ich wollte Anne sehen«, antwortete Lewis. »Um
eine Aufgabe zu erhalten. Mit jemandem zu reden.
Wie ist es dir ergangen, Jes? Du siehst gut aus.«
»Fein. Mir geht es prima. Du siehst auch gut aus.«
»Nein, das tue ich nicht«, erwiderte Lewis und
zeigte den Hauch eines Lächelns. »Ich bin berühmt
dafür, nicht gut auszusehen.«
»Für mich siehst du gut aus«, sagte Jesamine.
»Er ist mein Freund, Jes.«
»Ich weiß.«
Und auf einmal hielten sie einander aufs Neue fest
umschlungen und küssten sich, als versuchten sie, zu
einer Person zu verschmelzen, die nie wieder ge
trennt werden konnte. Während Anne in ihrem ein
samen Büro auf dem Monitor zusah, die Hände fest
in den Stoff des wunderbaren Kleides gekrallt.
König Douglas saß steif auf seinem großen Thron im
Parlament und nickte den diversen ehrenwerten Ab
geordneten huldvoll zu, wenn sie eintrafen und sich
auf ihre Plätze setzten. Es waren weniger als üblich
und weniger, als er gehofft hatte. Die meisten mach
ten sich nicht mal die Mühe, als Hologramm zu er
scheinen. Wahrscheinlich hatten sie Angst. Das
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