Green, Simon R. - Todtsteltzers Erbe
Bois.«
»Vielleicht. Aber ich begreife von jeher gut den
Wert eines Bundesgenossen. Früher mal habt Ihr das
auch getan.«
Michel du Bois ging, während Anne noch immer
nach einer Antwort auf diese letzte Bemerkung such
te; er schloss die Tür leise hinter sich. Anne machte
ein äußerst finsteres Gesicht und schwenkte den
Stuhl ärgerlich hin und her. Ungeachtet ihrer (ge
rechtfertigten) Ressentiments gegen diesen Mann
musste sie zugeben, dass seine Worte eher nach einer
Warnung als einer Drohung geklungen hatten. Aber
wieso scherte er sich um sie? Sie hatten sich nie nahe
gestanden, weder persönlich noch politisch. Viel
leicht dachte er, dass es ein schlechtes Licht auf Vi
rimonde warf, wenn gleich zwei hoch stehende und
öffentlich bekannte Vertreter dieses Planeten zu Fall
kamen. Was immer man über ihn sagen mochte, und
das war bei Anne eine ganze Menge: Du Bois war
stets Patriot gewesen. Anne beschloss, sich die Her
kunft des neuen Paragons genau anzusehen und mal
zu schauen, ob es dort etwas gab, wovon sie besser
wusste.
Erneut klopfte jemand an. Anne seufzte schwer.
Es gab Tage, da waren die Leute einfach nicht bereit,
sie friedlich vor sich hinbrüten zu lassen. Sie warf
wieder einen forschenden Blick auf den zuständigen
Monitor und entdeckte Jesamine Blume, die sehr
schön und fast unerträglich glamourös aussah und
eine große Schachtel in der Hand hielt, die mit einem
rosa Band zugebunden war. Anne betrachtete den
Bildschirm lange. Man hüte sich vor angehenden
Königinnen, die Geschenke bringen! Besonders
wenn man sie bereits in flagranti dabei ertappt hatte,
wie sie ihren angehenden Gatten betrogen. Anne riss
sich zusammen und forderte die alte Freundin auf
einzutreten.
Die Tür flog auf, und geschäftig eilte Jesamine
Blume herein, lebhaft und bereit zu leichtem Ge
plauder, als wäre nie etwas geschehen. Sie knallte die
Tür mit geübtem Schlenker der Ferse zu, schob Anne
das Geschenk in die Arme, küsste die Luft vor ihren
Wangen und warf sich auf den Stuhl, von dem du
Bois gerade aufgestanden war. Und all das ohne Zö
gern oder eine Spur von Verlegenheit oder eine
Atempause. Jesamine verstand sich von jeher darauf,
wie man einen Auftritt hinlegte.
»Na, mach schon die Schachtel auf, Darling!«,
sagte sie heiter. »Nur ein kleines Präsent, um die
Stimmung zwischen uns aufzupolieren! Du wirst es
einfach lieben! Mach schon auf, Süße! Es beißt
nicht.«
Anne öffnete die große, weiche rosa Schleife und
legte das rosa Band vorsichtig zur Seite. Sie sammel
te derartige Dinge. Sie wusste nie, wann sie mal
nützlich wurden. Sie öffnete die lange Schachtel,
warf den Deckel neben sich auf den Boden und er
blickte in der Schachtel ein hinreißendes Kleid aus
schimmerndem Silber. Vielleicht das schönste Kleid,
was Anne jemals gesehen hatte. Glamourös, mo
disch, ein Produkt des allerbesten Designerlabels und
zweifellos teurer als Annes Jahresgehalt. Ein Kleid,
in dem jede Frau zur Königin wurde. Und nichts,
was Anne jemals tragen würde. Jemals wagen würde
zu tragen. Ihre Finger glitten liebevoll, fast unwill
kürlich über den zarten, wunderbaren Stoff. Er fühlte
sich wie ein Kuss auf die Fingerspitzen an. Das Kleid
war zweifellos das Schönste, was Anne je erblickt
hatte, und sie hätte nichts lieber getan, als es zusam
menzuknüllen und Jesamine ins Gesicht zu schleu
dern – um sie dann vor Wut und Scham anzuschrei
en, weil Jesamine nicht wusste, dass Anne nie, nie
mals so etwas tragen konnte. Jesamine schwatzte
derweil arglos weiter.
»Ich habe das in meiner Garderobe gefunden und
sofort an dich gedacht. Es ist eines meiner Lieblings
kleider aus der Zeit, als ich die Kate in Der Wider
spenstigen Zähmung spielte. Es hat mir immer Glück
gebracht, und ich bin sicher, dass es das auch für
dich tun wird.«
»Na ja«, sagte Anne und entfernte die Hand von
dem Stoff. »Es ist eine Weile her, seit mir jemand
seine abgelegten Sachen vermacht hat. Was kommt
als Nächstes, Jes? Ein altes Paar Schuhe mit kaum
abgelaufenen Absätzen? Oder vielleicht eine halbe
Schachtel Pralinen, die du dich nicht überwinden
konntest leer zu machen?«
Jesamine machte einen Schmollmund. »Warum
führst du dich so auf, Anne? Ich bin hergekommen,
um dir Küsschen zu geben und alles wieder gutzu
machen. Ich möchte, dass wir wieder Freundinnen
sind.«
»Warum ich mich so aufführe? Es muss ja mein
Fehler sein, nicht wahr? Niemals deiner! Bist du
wirklich so
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