Green, Simon R. - Todtsteltzers Erbe
stille,
pummelige, zuverlässige Anne richtig an. Sie hätte
schön sein können. Genug Geld hatte sie, ausrei
chend für jede Art von Gesicht oder Körper, ganz
nach Wunsch. Aber … alle Welt hätte gewusst, wa
rum sie es tat. Und außerdem hätte es nie echt ge
wirkt. Sie hatte nicht das Selbstvertrauen, um schön
und anmutig und … sexy zu sein.
Und es hätte natürlich bedeutet, die Niederlage
einzugestehen. Die Bestätigung, dass niemand jemals
ihr wirkliches Selbst haben wollte. Natürlich hatte es
da, vor langer Zeit, Lewis gegeben. Er war hässlicher
als sie, hatte sich aber nie um diese Dinge geküm
mert. Ein Paragon konnte sich natürlich ein Gesicht
wie ein Hundearsch leisten, und die Frauen nannten
es trotzdem markig und liefen ihm mit entblößten
Brüsten nach. Der Segen der Berühmtheit. Anne griff
unter den Schreibtisch und zog langsam eine lange,
rosa Federboa hervor. Jesamine hatte sie ihr zum Ge
schenk gemacht. Ohne zu wissen, dass niemand An
ne Barclay jemals zu einem Anlass einladen würde,
wo sie sie tragen konnte. Selbst wenn sie den Mut
aufgebracht hätte, sie zu tragen. Anne hätte nie ge
wagt, mit etwas so Hellem und Buntem in die Öf
fentlichkeit zu gehen. Die Leute hätten sie ausge
lacht. Nicht offen natürlich. Aber sie hätte gewusst,
dass sie es taten, und es sich später auf dem Bild
schirm angesehen.
Sie drapierte sich die Federboa um die Schultern
und betrachtete sich in dem einsamen kleinen Spie
gel auf ihrem Schreibtisch.
»Ihr wisst nicht, was ich mir wünsche«, sagte sie
leise. »Keiner von euch …«
Sie hörte Schritte vor der Tür und laute, glückliche
Stimmen. Anne riss sich die Boa von den Schultern
und stopfte sie schnell wieder unter den Schreibtisch.
Die Tür ging auf, und Douglas und Jesamine traten
gemeinsam ein, Arm in Arm, und lächelten und lach
ten gemeinsam. Sie waren wirklich ein sehr attrakti
ves Paar. Sie grüßten Anne lautstark, und sie schenk
te ihnen ein ganz natürlich wirkendes Lächeln. Sie
beanspruchten wie selbstverständlich die beiden be
quemen Stühle, sodass Anne auf der Tischkante sit
zen musste, während Lewis die Tür schloss und sich
daranlehnte. Jesamine sah ihn an.
»Ihr seid also der berühmte Todtsteltzer. Ich habe
Euch oft im Einsatz gesehen. Es waren natürlich
Aufzeichnungen.«
»Und Ihr seid die noch berühmtere Jesamine Blu
me«, sagte Lewis. »Ich besitze jede Aufnahme, die
Ihr je veröffentlicht habt, plus etliche Piratenmit
schnitte.«
»Ah, ein Fan!« Jesamine schlug die Hände zu
sammen. »Darling, sagt mir, dass Ihr nicht diesen
scheußlichen illegalen Mitschnitt von mir in Verdis MacB habt, wo ich Lady M nackt spielte! Sie haben
mich immer aus der falschen Perspektive aufge
nommen, sodass ich eindeutig pummelig wirke!«
»Falls ich dergleichen gesehen hätte, dann bin ich
viel zu sehr Gentleman, um es zuzugeben«, sagte
Lewis.
Jesamine lächelte Douglas an. »Du hattest Recht;
ich mag ihn wirklich.«
»Das solltest du auch«, sagte Douglas. »Er ist
mein ältester und engster Freund.«
»Und Anne meine älteste und engste Freundin«,
sagte Jesamine. »Wir müssen unsere eigene kleine
Bande gründen. Aufeinander aufpassen und immer
füreinander einspringen, ja?«
»Ja«, sagte Douglas und sah sich mit einem Lä
cheln voller Zuneigung um. »In einer sich fortlau
fend ändernden Welt sind Freunde das Einzige, wor
auf man sich immer verlassen kann.«
»Freunde auf ewig«, sagte Anne.
»Darauf trinke ich«, sagte Lewis.
Anne stand sofort auf, suchte geschäftig im Büro
herum, stöberte weitere Tassen aus ihren Verstecken
auf und schenkte den letzten Tee aus ihrer eleganten
Silberkanne ein. Zum Glück waren genug Milch und
Zucker für alle übrig. (Es gab weder Schnaps noch
Champagner. Anne bewahrte so etwas in ihrem Büro
nicht auf. Sie wagte es nicht.) Douglas hob seine
Tasse zu einem Trinkspruch, und die anderen leiste
ten seinem Beispiel Folge.
»Auf uns vier«, sagte Douglas. »Gute Freunde für
jetzt und immer, komme, was da wolle.«
Sie alle tranken darauf, obwohl Jesamine die Ein
zige war, die dabei den kleinen Finger krümmte. Sie
musterte Lewis nachdenklich.
»Ich habe Euch in den Nachrichten gesehen. Euch
und den Durandal, wie Ihr in der Arena gegen die
Elfen gekämpft habt. Entsetzliche Kreaturen! So vie
le Tote! Sagt mir, Lewis … Hat es nur auf mich so
gewirkt, oder hat sich der Durandal mehr dafür inte
ressiert, Elfen zu töten, als ihre Marionetten zu
essiert,
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