Green, Simon R. - Todtsteltzers Erbe
Aufs Neue
erzählte er der nachsichtigen Menge, wie er sich bei
Hofe eingeschlichen hatte und was er dort gesehen
und getan hatte (darunter vieles, was er sich zu tun
überlegt oder gewünscht hatte). Er machte eine große
Show über seine erfolgreiche Flucht, die Meute des
Sicherheitsdienstes auf den Fersen – aber so betrun
ken er war, verblieb ihm genug Verstand, um Finns
Beteiligung nicht zu erwähnen. Die Leute hier hätten
das nicht verstanden. Verdammt, er war jetzt hier
und verstand es selbst nicht!
Außerdem dachte er nicht gern an Finn Durandal.
Der Mann machte ihm Angst. Den Paragon abzuhän
gen, das war das Cleverste, was er je getan hatte. Brett
Ohnesorg wäre nie so weit gekommen ohne die Fä
higkeit, Probleme zu erkennen, wenn er sie erblickte.
Er wollte nicht mal mehr an diesen Mann denken.
Brett unterbrach seine Prahlerei, um sich einen
weiteren Drink zu bereiten. Es dauerte eine Weile,
aber es lohnte. Brett trank stets Absinth, wenn er das
nötige Geld hatte. Manch andere Getränke schmeck
ten besser oder rissen einem noch schneller die Beine
weg, aber für einen kräftigen Backstein an die Schlä
fe gab es nichts, was mit Absinth vergleichbar gewe
sen wäre. Es kostete ein Vermögen, war in praktisch
jeder Hinsicht schlecht für einen, und einige der Hal
luzinationen, die es bewirkte, waren regelrecht beun
ruhigend; falls man jedoch genug in sich hineinkipp
te, wurde die Welt zu einem schönen, ja wundervol
len Ort. Vor allem jedoch liebte Brett das Rituelle am
Ganzen.
Zunächst gieße man sich ein Glas Absinth ein und
stelle es auf den Tresen. Als Nächstes nehme man
einen Löffel zur Hand (einen flachen Löffel, aus rei
nem Silber, blattförmig) und lege ihn auf das Glas.
Dann platziere man ein Stück Zucker auf dem Löffel.
Dann verdünne man das Getränk, indem man Quell
wasser auf das Zuckerstück tropft, bis der Alkohol
darunter sich von einem matten Blau in ein kräftiges
Grün umfärbt. Dann, und erst dann, trinke man. Und
halte seinen Hut fest! Absinth konnte Leber, Nieren
und Gehirn stark schädigen, war aber sehr gut für die
Seele. Besonders, wenn man ihm exzessiv zusprach.
Ausreichend erfrischt, wandte sich Brett wieder ei
nem Publikum zu, das noch mehr erfrischt war als er.
Manche waren sogar so erfrischt, dass sie sich gar
nicht mehr in derselben Zeitzone aufhielten.
»Meine Mitbastarde!«, sagte er würdevoll. »Wie
schön, wieder bei der Familie zu sein! Die Schafe
scheren, das kann sich als lustig und profitabel zu
gleich erweisen, aber nur hier bei euch fühle ich
mich zu Hause. Ich betrachte euch wirklich als meine
Kinder, die sich vor mir versammeln, um mir zuzu
hören und davon zu lernen. Ich verspüre den seltsa
men Drang, euch alle nach oben zu schicken, damit
ihr eure Zimmer aufräumt … Tragt ihr auch alle sau
bere Unterwäsche? Dann seid so frei, nach draußen
zu gehen und vor einen Lastwagen zu laufen! Ich
verspreche auch, dass ich mir nichts daraus machen
werde. Aber vergesst niemals, Jungs und Mädels: Ihr
seid vielleicht Ohnesorgs Bastarde, aber ich allein
bin des Titels Der Bastard würdig.
Mein Vater war, um so viele Ecken, wie er es ge
rade aushalten konnte, der legendäre Jakob Ohne
sorg. Genau wie euer. Gott, er hat wirklich weit ge
streut! Aber meine liebe Mutter war um nicht weni
ger viele Ecken die nicht minder legendäre Ruby
Reise! Meine Gene sind so verdammt heroisch, dass
es Wunder nimmt, wie ich es mit euch im selben
Raum aushalten kann.«
Er lächelte ungerührt angesichts des lautstarken
Hohnes, der ihm aus der Menge entgegenschlug, die
vielleicht sternhagelvoll war, aber immer noch abso
luten Quatsch erkennen konnte, wenn er ihr aufge
tischt wurde. Sogar die Madelinas stellten die Tätig
keit des Servierens lange genug ein, um ihn zu ver
höhnen und Sachen nach ihm zu werfen. Eine von
ihnen warf die eigenen Zimmerschlüssel. Brett fing
sie mit geübter Lässigkeit aus der Luft auf und blin
zelte dieser Madelina zu.
»Ruby Reise hatte bekanntermaßen nie Kinder!«,
erklärte ein Ohnesorg aus der ersten Reihe, ein
Fremdwesen-Mischling. »Alle Welt weiß das!«
»Jakob und Ruby haben vor ihrem letzten Einsatz
Samen und Eizellen gespendet«, entgegnete Brett mit
übertriebener Geduld. »Das war ein Akt der Wohltä
tigkeit.«
»Ruby war nicht bekannt für Wohltätigkeit«, er
widerte der Mischling und grinste über sein ganzes
graues Gesicht. »Nicht, solange es dabei nicht ums
Abschlachten
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