Green, Simon R. - Todtsteltzers Rückkehr
ein Berg
eine Stimme für seine Wut und seinen Hass gefunden. Die Gruppe drängte sich zusammen und blickte
sich panisch um. Der entsetzliche Laut schlug kalte
Eisenhaken in ihre Herzen und erweckte atavistische
Ängste in ihren Stammhirnen. Sogar Samstag war
jetzt eindeutig nervös geworden und schwenkte den
mächtigen Schädel hin und her. Der Laut schmerzte
ihnen in den Ohren und trieb ihre Herzen zu
schmerzhafter Eile, ehe er so plötzlich wieder verstummte, wie er aufgetreten war. Alles, was die Gefährten jetzt noch hörten, war der eigene raue Atem
und das leise Murmeln des Staubes im Wind, während er über die endlose Steinwüste scharrte.
»Was zum Teufel war das denn?«, fragte Brett,
und es war kaum mehr als ein Wimmern. »Und wo
steckt es? Ich kann gar nichts erkennen. Ich dachte,
hier gäbe es kein einheimisches Leben.«
»Gibt es auch nicht«, sagte Lewis.
»Vielleicht hat Shub es mitgebracht«, überlegte
Jesamine. »Oder … vielleicht ist etwas aus dem Labyrinth ausgebrochen …«
»Ihr seid keine Hilfe«, fand Brett.
»Vielleicht war es eine Art Alarmsirene in der
Stadt«, sagte Lewis. »Oder vielleicht war es ein Arbeitsgeräusch des Labyrinths.«
»Nein«, entgegnete Jesamine. »Das war lebendig.
Auf entsetzliche Weise lebendig. Vielleicht … hat
das Labyrinth das Heulen im Traum ausgestoßen. Es
weiß, dass wir kommen.«
»Ich möchte nach Hause«, sagte Brett kläglich.
»Jetzt gleich.«
»Falls Ihr möchtet, könnt Ihr zur Herwärts zurückgehen«, bot Lewis ihm an. »Aber ich kehre nicht
um. Nicht so kurz vor meinem Ziel. Im Labyrinth
des Wahnsinns warten alle Antworten. Ich verzichte
nicht mehr darauf, nachdem ich schon so weit gekommen bin.«
»Glaubst du wirklich daran?«, fragte Jesamine.
»Das muss ich«, antwortete Lewis. »Nun, Brett?«
»Allein zurückgehen?«, hielt ihm Brett entgegen.
»Ich denke, in Eurer Gesellschaft bin ich ein klein
wenig sicherer. Diese Worte solltet Ihr jedoch in keiner Weise als Vertrauensbeweis deuten. Suchen wir
einfach mal die Stadt auf. Vielleicht haben sie dort
eine Kneipe. Oder eine Apotheke, in die ich einbrechen kann.«
»Armer Kleiner«, sagte Rose.
»Hör auf damit«, verlangte Brett. »Von dir klingt
das unheimlich.«
Sie kämpften sich weiter gegen den beißenden
Wind vor. Die Zeit verstrich langsam und anstrengend, und endlich lag die Stadt der Wissenschaftler
vor ihnen. Sie hatte schon aus der Ferne ganz schön
heruntergekommen gewirkt, und aus der Nähe sah
sie noch schlimmer aus. Sie lag immer noch ein gutes Stück vom Labyrinth des Wahnsinns entfernt. Die
imperialen Wissenschaftler mussten das Labyrinth
vielleicht erforschen, aber sie wollten verdammt sicher nicht direkt daneben wohnen. Die Dienstzeit des
Einzelnen betrug jeweils nur ein paar Monate. Mehr
wäre riskant gewesen. Die Stadt setzte sich aus etwa
vierzig Häusern zusammen, allesamt schlichte Kolonie-Fertigbauten stabiler Machart und ohne jeden
Komfort. Niemand hatte sich jemals die Mühe gemacht, sie heimelig zu gestalten, weil niemand je
lange genug darin wohnte.
Lewis blieb am Stadtrand stehen und rief einen
Gruß, aber der Wind trug seine Stimme weg. Niemand
war auf der Hauptstraße unterwegs, und in keinem
Fenster brannte Licht. Lewis betrat die Stadt, dicht gefolgt von den Gefährten. Sie brauchten nicht lange, um
zu merken, dass niemand hier war. Türen schlugen im
Wind hin her, Jalousien klapperten vor den Fenstern,
und zuzeiten blies der heulende Wind ein Stück häuslichen Treibguts die Straße entlang; Menschen waren
jedoch nirgendwo zu sehen. Lewis stieß ein paar Türen
auf und blickte in die Häuser. Mahlzeiten standen auf
den Tischen, manche davon halb verzehrt, und der eine
oder andere Stuhl lag umgestürzt am Boden, aber
nirgendwo erblickte er einen Hinweis darauf, warum
eine ganze Wissenschaftlerpopulation verschwunden
war. Die Gefährten erreichten die gegenüberliegende
Stadtgrenze, drängten sich dort zusammen und warfen nervöse Blicke über die Schultern.
»Wo zum Teufel stecken die alle?«, wollte Jesamine wissen. »Sie arbeiten doch nicht alle gleichzeitig im Labyrinth, oder?«
»Vielleicht hat Shub etwas mit ihnen angestellt«,
überlegte Brett. »Vielleicht haben die KIs entschieden, die Geheimnisse des Labyrinths mit niemandem
zu teilen.«
»Wisst Ihr, mit ein bisschen Mühe könntet Ihr
richtig deprimierend sein, da bin ich ganz sicher«,
sagte Jesamine.
»Nirgendwo sieht man Spuren von Gewalt«, warf
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