Greife nie in ein fallendes Messer
überwältigender Kurssprung, keine Zeichnungsgewinne von 100 Prozent und mehr, wie noch vor Wochen bei Neuemissionen gang und gäbe. Vielleicht schon ein Zeichen für mehr Realitätssinn der institutionellen und privaten Anleger? Die Rückkehr zur Vernunft?
Die Erleichterung über den reibungslosen Ablauf ist ganz besonders Heinz-Jürgen Schäfer anzusehen. Er ist als Vertreter der Dresdner Bank zuständig für den Börsenstart der Aktie. Ich weiß wirklich nicht mehr, wie vielen Aktien Heinz-Jürgen Schäfer in den letzten dreizehn Jahren zu einem erfolgreichen Beginn auf dem Parkett verholfen hat, aber an einen Fehlstart unter der Führung dieses Börsenprofis kann ich mich erst recht nicht erinnern.
»Da wird nichts anbrennen«, hatte er mir noch wenige Minuten zuvor versichert, »die Aktie wird gut laufen, die Nachfrage ist da, |235| große Verkaufsorders der enttäuschten Schnäppchenjäger Fehlanzeige. Und die schwache Wall Street zieht auch keine Blasen.«
Genau so ist es gekommen. Er hat halt wieder das richtige Näschen gehabt. Wie auch Ron Sommer, dessen Rechnung ebenfalls aufgegangen ist. Der niedrige Emissionspreis hat der Fantasie für weitere Kursgewinne genügend Raum gelassen. Die TOI-Aktie, so das offizielle Börsenkürzel findet offenbar Anklang. Toi, toi, toi! Der Kurs zieht weiter an. Offenbar wollen immer mehr Kleinanleger einsteigen, die institutionellen Anleger, wie beispielsweise die Fonds, ziehen mit. Nach wenigen Minuten kostet die Aktie bereits mehr als 30 Euro.
Finanzminister Hans Eichel, der wie Ron Sommer vor der Maklerschranke die Kursentwicklung und die millionenfachen Kaufaufträge beobachtet, zeigt sich mehr als zufrieden. Der Börsengang der Telekom-Tochter macht Freude und bringt auch ihm Gewinn. Am Ende der Börsensitzung, gegen 17:30 Uhr, erreicht die Aktie einen Preis von 37,50 Euro. Doch noch ein stattliches Plus von fast 40 Prozent. Aber das haben die illustren Gäste und ihr Medientross schon nicht mehr mitbekommen. Sie sind längst wieder unterwegs zu neuen Werbeveranstaltungen für die TOI-Aktie. Das Börsenparkett gehört wieder dem Tagesgeschäft mit seinen wenigen Maklern und Händlern.
Die Botschaft des Tages lautet in der Telebörse : »Kein Fehlstart für T-Online«. Im Schlepptau der TOI-Aktie konnte sogar der DAX seine anfänglichen Verluste bis zum Schluss des Börsenhandels nahezu vollständig wieder wettmachen. Es bleibt gerade mal ein Minus von 27 Punkten.
Frankfurt hat den Crash-Test offenbar bestanden. Finanzminister Eichel schreibt dies alles frohgemut dem erfolgreichen Börsengang der T-Online-Aktie zu. »Der Anstieg des Kurses könnte ein Zeichen sein, dass der Markt nicht weiter fällt«, lesen wir am nächsten Tag in den Zeitungen.
In der Tat spricht vieles dafür, dass die Finanzmärkte in diesen Apriltagen zurückgefunden haben zu einem inneren Gleichgewicht zwischen Risiko und Chance, zwischen Substanz und Wachstum, |236| zwischen fundamentalen Daten und Fantasie. Vergessen scheint, dass sich die amerikanische Freiverkehrsbörse Nasdaq, der wichtigste Marktplatz all dieser von wenig mehr als von Fantasie getragenen Wachstumswerte der sogenannten New Economy, in der jüngsten Zeit deutlich von ihren historischen Höchstständen bei 4 900 entfernt hat. Allein in der zweiten Aprilwoche musste sie einen Verlust von mehr als 25 Prozent hinnehmen – den größten Einbruch ihrer Geschichte. Eine böse Überraschung für all die Anleger, die geglaubt hatten, an der Börse könnten die Bäume in den Himmel geredet werden, ohne Wurzelwerk, ohne Wasser und ohne Nährstoffe.
Auch wenn die andauernde Liquiditätsschwemme an den Weltbörsen auf jede Kurskorrektur eine Gegenreaktion nach oben auslösen könnte – der blinde Glaube an das schnelle Geld mithilfe der Hightech-Werte ist offenbar dahin. »Die Märkte sind angeschlagen, besonders bei den Internetwerten schießt die heiße Luft aus den Kursen«, konstatieren die Börsenprofis, und eine leichte Genugtuung in ihrer Stimme ist nicht zu überhören. Was in den letzten Monaten in diesem Bereich der Börse passiert ist, hat keiner von ihnen verstanden. Mitgemacht haben sie schon, denn schließlich ist es noch weniger sinnvoll, sich gegen den Markt zu stellen. Aber lauthals gejubelt hat keiner bei diesem Tanz ums Goldene Kalb, genannt Internet.
Unvernünftige und nicht nachvollziehbare Reaktionen hat es an den Börsen immer gegeben und wird es auch immer wieder geben. Aktienkurse werden auch in
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