Greife nie in ein fallendes Messer
Börse.
Die brutalen Kurskorrekturen im Frühjahr 2000 bedeuteten natürlich nicht, dass wir Abschied vom Internet oder ganz allgemein von der Kommunikationstechnologie nehmen mussten. Sie bedeuteten nicht mehr, aber auch nicht weniger, als dass die Anleger an den Finanzmärkten – durch die Bremspolitik der amerikanischen Notenbank gezwungen – offensichtlich zur Realität und zur Vernunft zurückgefunden hatten. Auch in den kommenden Jahren würden die Kurse der Internetaktien steigen – vermutlich aber nicht mehr im bisherigen Ausmaß und hoffentlich nicht ohne jede Berücksichtigung fundamentaler Überlegungen. Kein Grund also zu verzagen, denn schließlich gab es ja auch im Internetgeschäft schon Unternehmen, die auf erfreuliche Gewinne und auf eine stabile Stellung im Markt verweisen konnten und nicht nur auf fantastische Visionen.
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Kapitel 12: An der Börse ist es wichtiger, Recht zu bekommen, als Recht zu haben. Der Schlingerkurs der US-Notenbank
Während des Mittagessens im Hotel Frankfurter Hof hatte mein Tischnachbar, ein renommierter Weinhändler aus Frankfurt, mit verlockenden Argumenten versucht, mich von den Vorzügen eines noch jungen, aber vielversprechenden Bordeaux aus dem Haut-Médoc zu überzeugen. Keine schlechte Idee: französischer Rotwein als langfristige Kapitalanlage! Vorausgesetzt, Lage, Jahrgang und Kellermeister lösen in neun bis zehn Jahren all die Versprechen ein, die den Preis schon heute nach oben treiben. »Doch selbst dann können sich die schönsten Renditeerwartungen verflüchtigen, wenn nämlich am Ende die eigene Genusssucht am abendlichen Kaminfeuer die sorgfältigsten Kalkulationen zunichte macht.« Diesem abschließenden Einwand des Gastgebers mochte dann auch keiner am Tisch widersprechen, hatte doch der Veranstalter einige Immobilienmakler und deren Kunden mittags zum traditionellen »Frankfurter Immobiliengespräch« geladen und nicht zu einem Weinseminar.
Schade, ich hätte dieses Gespräch gerne vertieft, aber meine Aufgabe war es an diesem Tage, den Zuhörern nach dem Mittagessen die aktuellen Chancen und Risiken der weltweiten Immobilienanlage zu erläutern. Ein Thema, das mich an diesem 16. September 2005 über weite Strecken durch vermintes Gelände führte. Doch leider waren die wenigsten Minen zu diesem Zeitpunkt mit bloßem Auge zu erkennen. Was sich gut ein Jahr später in den USA, aber auch in Großbritannien und Spanien am Immobilienmarkt abspielen sollte, ahnte kaum einer der Diskussionsteilnehmer im Saal.
Seit sich in den Jahren 2000 und 2001 millionenschwere Aktiengewinne in Luft aufgelöst hatten, zeigten sich die meisten deutschen |248| Privatanleger wild entschlossen, nie wieder eine Aktie anzufassen. Wenn hochfliegende Hoffnungen mit einem brutalen Schlag an der Wirklichkeit zerschellen, ist es schon verständlich, dass die enttäuschten Aktionäre dazu neigen, das Kind mit dem Bade auszuschütten. Da helfen dann auch keine Appelle an die Vernunft und keine Hinweise auf erwiesene Tatsachen. Augen und Ohren zu und Taschen geschlossen halten, das war und blieb die allgemeine Reaktion deutscher Anleger nach dem Platzen der Aktienblase.
Wer aber sehen und hören wollte, der hätte in den USA schon unmittelbar nach den Terroranschlägen im Herbst 2001 den erstaunlich starken Willen der US-Bürger beobachten können, sich nicht einmal von den Verbrechern der al-Qaida einschüchtern zu lassen. Der Konsum der Amerikaner lief weiter in seinen gewohnten Bahnen, als ob nichts geschehen wäre.
Die Basis für dieses ungebrochene Vertrauen der amerikanischen Verbraucher in ihr Land und ihre Wirtschaft hatte aber schon lange vor dem 11. September US-Notenbankchef Alan Greenspan geschaffen. Um die amerikanische Konjunktur nach dem Platzen der New-Economy-Blase vor dem Kollaps zu bewahren, hatte die Notenbank 2001 ihre bisherige Bremspolitik aufgegeben und begonnen, die US-Leitzinsen in einem atemberaubenden Tempo innerhalb von knapp vier Jahren von 6,5 Prozent auf ein 45-jähriges Rekordtief von 1 Prozent im Frühjahr 2004 herunterzuprügeln. Unter Greenspans Führung mauserte sich die US-Notenbank, die sich bis vor kurzem noch so sehr um die Euphorie am Aktienmarkt gesorgt hatte, zu einer schier unerschöpflichen Geldquelle, aus der fast die ganze Welt ihre wohlfeile Liquidität schöpfte. Befeuert von den drastischen Zinssenkungen und angeschoben von staatlichen Konjunkturprogrammen der Bush-Regierung, kannte die US-Wirtschaft
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