Greife nie in ein fallendes Messer
gutes Argument für einen dauerhaften Aufwärtstrend an den Finanzmärkten. Doch übersahen diese Haussiers in ihrem Überschwang, dass genau diese explosionsartig gestiegenen Aktiengewinne und die daraus abgeleitete Euphorie der amerikanischen Anleger die Inflationssorgen in den Kreisen der amerikanischen Notenbank verursacht und täglich verstärkt hatten.
Die wieder aufgeflammte Zinsdiskussion war von Alan Greenspan vor allem deshalb auf die Tagesordnung der Finanzmärkte gesetzt worden, weil der US-Notenbankchef einer gravierenden Fehlentwicklung mit dauerhaften Schäden an den Börsen vorbeugen wollte. Es war diese Vermögensinflation, weniger die Preissteigerungen bei Konsumgütern, die die US-Notenbank veranlasste, mit ihrem Folterinstrument »Zinserhöhung« nicht nur zu drohen, sondern dieses |243| auch einzusetzen. Die Analyse der jüngsten Preiserhöhungen nährte nämlich die Erwartung, dass mit dem jüngsten Rückgang der Preise für das Rohöl auch der allgemeine Preisauftrieb wieder zum Stillstand gekommen sei. Die moderne Dienstleistungsgesellschaft, die offenkundig dabei war, die alte Industriegesellschaft abzulösen, würde zudem weniger von Rohstoffen und ihren Preisen abhängen, als dies in der Vergangenheit der Fall war. Hohe Rohölpreise würden diese Entwicklung nur beschleunigen. In der nächsten Zukunft würden sich mit großer Wahrscheinlichkeit die Preissenkungstendenzen fortsetzen, die wir dem internationalen Wettbewerb in dieser globalisierten Welt mit ihren neuen Technologien und ihrer Transparenz verdanken. Höhere Lohnkosten würden durch einen effektiveren Einsatz der menschlichen Arbeitskraft, das heißt durch eine steigende Arbeitsproduktivität weitgehend neutralisiert, was gleichzeitig die Bedeutung der Gewerkschaften zunehmend verringern würde. Wenn zudem weiterhin staatlich verordnete Bürokratien weltweit abgebaut würden, dürfte es nicht bei dem dramatischen Preiswettbewerb bei Nahrungsmitteln, in der Telekommunikation oder bei der Stromversorgung allein bleiben. Die Inflation verlöre ihre Giftzähne, überall auf der Welt, überall in unserem täglichen Leben.
Dies war auch eine Botschaft der »New Economy«! Warum aber die Furcht der Baissiers vor weiteren Zinserhöhungen, wenn die Stabilität trotz gestiegener Rohstoffpreise nicht wirklich in Gefahr war? Es war ganz offensichtlich die Angst der amerikanischen Notenbanker vor einer überbordenden Konsumfreude ihrer durch Kursgewinne reich gewordenen Landsleute. Nach einer zehnjährigen Aufwärtsbewegung an den amerikanischen Finanzmärkten hatten viele Amerikaner durch ihre Aktienanlagen ein erhebliches Vermögen angehäuft. Immerhin besaßen 50 Prozent der erwachsenen Amerikaner Aktien. Allein in den beiden vorangegangenen Jahren war deren Vermögen um 3 Billionen US-Dollar gestiegen. Nur auf dem Papier, wohlgemerkt. Aber warum sollten diese Amerikaner sparen? Warum sollten sie sich beim Konsum zurückhalten? Wer sich reich fühlt, wer sich angesichts der Vollbeschäftigung keine Sorgen um seinen Arbeitsplatz machen muss, der gerät natürlich in die Versuchung, mehr auszugeben als bisher.
|244| Der Anstieg der Konsumausgaben in den USA lag mit 5 Prozent noch außerhalb der Gefahrenzone. Dennoch läutete Alan Greenspan die Alarmglocken. Wehret den Anfängen, so seine Botschaft. Der Reichtum der Amerikaner fuße zu einem großen Teil auf den andauernden Kursexplosionen an den Finanzmärkten. Die Gewöhnung daran könne mit der Drogenabhängigkeit verglichen werden. Käme es durch irgendein Ereignis zu einem plötzlichen, vielleicht sogar erheblichen Rückschlag an den internationalen Finanzplätzen, könne dies wie ein kalter Entzug wirken, mit schwerwiegenden Folgen. Schlagartig würden sich die Amerikaner der Tatsache bewusst, dass ihr Reichtum nur auf dem Papier existiere, dass zum Börsenalltag auch fallende Kurse gehörten, dass die Börse eben keine Einbahnstraße sei. Die Konsequenz dieser Erkenntnis wäre eine plötzliche Konsumenthaltung, die wiederum eine verwöhnte Boom-Wirtschaft auf dem falschen Fuß erwischen würde. Nur unter schweren und langwierigen Verwerfungen würde Amerika aus diesem Konjunkturabschwung wieder zurückfinden in die Normalität.
Eine sanfte Landung der Hochkonjunktur, das war nach meiner Vermutung das eigentliche Ziel der Zinspolitik Alan Greenspans, ein Abbau der Übertreibungen an den Aktienmärkten. Lange Zeit hatte er auf den Erfolg seiner Maßnahmen warten müssen. Zahlreiche
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