Greife nie in ein fallendes Messer
offensichtlich nur einen Weg: nach oben. Und in ihrem Windschatten die Wall Street, die in schnellen Schritten alte, fast schon vergessene Rekordmarken ansteuerte. Hightech-Hysterie, Bilanzbetrügereien und korrupte Anlageberater, alles war der Schnee vom vergangenen Jahr. Was jetzt an der Börse zählte, das war die exzessive Zinspolitik der Notenbank. Selbst der US-Arbeitsmarkt hatte schon im Herbst 2003 die einschneidenden Sparmaßnahmen der Wirtschaft im Personalbereich |249| als unmittelbare Konsequenz aus den geplatzten New-Economy-Träumen wieder überwunden.
Mit dem vielen Geld, das sie der spendablen US-Notenbank verdankten, machten sich die amerikanischen Anleger im März 2003 auf den Weg nach Europa, wo sie sich mit Vorliebe auf die großen DAX-Titel stürzten, die im Vergleich mit den bereits teuren amerikanischen Aktien aus ihrer Sicht immer noch zu Schnäppchenpreisen feilgeboten wurden.
»Alles nur eine Scheinblüte«, riefen mir frustrierte Zuhörer zu, wann immer ich auf meinen Vortragsveranstaltungen 2003/2004 zum Einstieg in den DAX riet. Das doppelte Defizit von Leistungsbilanz und Staatshaushalt in den USA, die Unruhen in der islamischen Welt, die verhängnisvolle Außenpolitik von George W. Bush, das waren die gängigen Argumente vieler Analysten und Marktbeobachter, die über die Massenmedien den Bundesbürgern immer wieder in die Ohren geblasen wurden. Mit durchschlagendem Erfolg.
Völlig verständnislos standen die meisten deutschen Privatanleger am Bahnsteig und sahen die Börsenzüge vorbeifahren, voller zufriedener Aktionäre aus den USA, die auf einen weltweiten Wirtschaftsaufschwung setzten. »Ohne uns«, so die deutschen Anleger. Für sie war die Aktienanlage grundsätzlich »out«. Wer sich aber stattdessen mit dem sicheren, doch eher langweiligen Sparbuch oder dem Geldmarktfonds nicht zufriedengeben wollte, der machte sich auf, mit fliegenden Fahnen aus der Aktienanlage in die Immobilie zu wechseln.
Natürlich nicht in deutsche Immobilien. Dieser Markt war ebenfalls verbrannt. Die jüngste Konjunkturdelle hierzulande hatte die Büroräume im Bankenzentrum Frankfurt nahezu leer geräumt. Für fast 2 Millionen Quadratmeter Bürofläche, die in den Boomjahren zuvor Spitzenmieten von 50 Euro pro Quadratmeter eingebracht hatten, suchten die Eigentümer vergeblich nach Mietern. Zahllose Wohnhäuser in den neuen Bundesländern verkamen zu Schrottimmobilien. Selbst prächtige klassizistische Villen in Leipzig, Dresden oder auch in Magdeburg, Erfurt und Weimar, von westdeutschen Steuersparern aufwändig restauriert, erwiesen sich als Fehlinvestitionen. Die cleveren bundesdeutschen Steuermodellierer hatten nach der |250| Wiedervereinigung mit allem gerechnet, nur nicht mit dem Exodus der ostdeutschen Brüder und Schwestern in den Westen.
Nein, für den heimischen Immobilienmarkt hatten die deutschen Anleger nicht einmal ein müdes Lächeln übrig. Dafür reisten sie mit prall gefüllten Taschen zum Immobilienshoppen nach Spanien oder über den Großen Teich nach Amerika. Während auf dem tristen deutschen Wohnungsmarkt die Preise für Eigenheime und Eigentumswohnungen weiter fielen, kannten die Preise in den USA, in den spanischen Küstenregionen oder auf Mallorca offensichtlich keine Grenze nach oben. Nicht wenige deutsche Verkäufer geschlossener Immobilienfonds mussten schon nach kurzer Zeit ihre Angebotslisten schließen, weil sie nicht mehr wussten wohin mit dem Geld der Anleger. Es gab einfach nicht mehr genug gute Renditeobjekte. Doch selbst teure Objekte zweiter Wahl mit Renditen von deutlich unter 10 Prozent fanden ihre Abnehmer. Im Jahr 2004 sammelten geschlossene Immobilienfonds allein bei deutschen Anlegern 1,2 Milliarden Euro ein. Insgesamt explodierten die Umsätze bei geschlossenen Immobilienfonds in den USA auf 167 Milliarden US-Dollar.
Und auch dieser Boom war, wie der Jubel an der Wall Street, einem Mann geschuldet: Alan Greenspan.
Die schier unerschöpflichen Liquiditätsspritzen der US-Notenbank waren Manna vom Himmel für die konsumfreudigen US-Bürger, besonders aber für verschuldete Hauseigentümer. Denn sinkende Zinsen werden in den USA, anders als bei uns, in der Regel sofort an die Hypothekenschuldner weitergegeben. Langjährige Zinsbindungen, wie im deutschen Hypothekengeschäft üblich, sind in den USA eher die Ausnahme. Werden die Hypotheken aber billiger, dann kann in der Regel sofort umgeschuldet werden. Verringern sich die Zinsbelastungen, bleibt dem
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