Greife nie in ein fallendes Messer
sind. Keiner achtet dann auf den grantigen Nachbarn, der sich durch den Lärm belästigt fühlt und mit der Polizei droht. Und womit konnte Greenspan schon drohen? Mit Zinserhöhungen? Lachhaft! Erst ab 4 bis 5 Prozent wäre die Schmerzschwelle der Investoren und Konsumenten überschritten. Bei einem Leitzins |255| von 1 Prozent war mithin noch reichlich Spielraum nach oben. Sollte doch die Notenbank mit dem Zinsknüppel herumfuchteln, der überschäumenden Partylaune würde dies keinen Abbruch tun. Die Geister, die Greenspan in die Welt gesetzt und lange, zu lange gehätschelt hatte, waren nun außer Kontrolle geraten. Auf den großen Zaubermeister mochte niemand mehr hören.
Während der Diskussion nach meinem Vortrag über die Immobilienanlage gab es im Frankfurter Hof durchaus nachdenkliche Stimmen aus dem Kreis der Zuhörer, die bei weiter steigenden Zinsen seitens der US-Notenbank vor einem möglichen Ende der Immobilieneuphorie in den USA und Teilen Europas warnten. Auch die Hightech-Blase sei schließlich geplatzt, weil Alan Greenspan mit steigenden Zinsen all den Spekulanten auf die Finger geschlagen hatte, die seine jahrelangen Warnungen nicht ernst genommen hatten. Zurückhaltung sei also durchaus angebracht.
Mein Einwand, eine Immobilienblase werde erfahrungsgemäß nicht so schnell und so laut platzen wie eine Aktienblase, stieß auf erleichterte Zustimmung. »Wer schon vor dem Hauptgang den Tisch verlässt, verpasst in der Regel das Beste«, so die überwiegende Meinung. Noch so eine trügerische Binsenweisheit der Börsianer, die schon viele Anleger um sichere Gewinne gebracht hat. Nicht umsonst sind die Herren »Hätt ich doch« und »Wär ich doch« die bekanntesten Typen an der Börse: »Hätte ich doch nicht gekauft, und wäre ich doch früher ausgestiegen!«
»Hätte ich doch auf Greenspan gehört und rechtzeitig verkauft«, sollten auch die Immobilienspekulanten nur zwei Jahre später stöhnen.
Der Taxifahrer, der mich nach dem Treffen im Frankfurter Hof zum Flughafen fahren sollte, begrüßte mich wie einen alten Stammgast. In den letzten Jahren meiner börsentäglichen Berichterstattung vom Frankfurter Parkett hatte mich der Sender n-tv in diesem zentral gelegenen Hotel einquartiert. Mit der Zeit war fast ein persönliches Verhältnis zu Hotelmitarbeitern und den Taxifahrern entstanden, die vor dem Hotel an ihrem Standplatz auf Hotelgäste warteten. Nicht |256| wenige von ihnen waren in ihrer Freizeit offenbar regelmäßige Zuschauer der zahlreichen Börsensendungen im Fernsehen oder kämpften sich tagtäglich durch die Flut der Börsendienste, immer auf der Suche nach dem ultimativen Aktientipp. Nicht selten konfrontierten sie mich mit Aktien, von denen ich noch nie etwas gehört hatte. Je exotischer das Wertpapier und je enger der Markt dafür, desto höher die versprochenen Gewinnchancen. Meine leicht verzweifelten Hinweise auf die Risiken, die grundsätzlich mit solchen hochspekulativen Werten verbunden sind, wurden mit einem gnädigen Kopfnicken zur Kenntnis genommen. »Ist ja gut, wir wissen schon, was wir tun.«
In der Zeit der allgemeinen Aktienhysterie am Neuen Markt wollte halt jeder mitmischen beim Gesellschaftsspiel um das ganz große Geld, selbst wenn dafür auch noch der letzte Notgroschen eingesetzt werden musste. Massenblätter, Tippdienste aller Schattierungen, selbsternannte Börsengurus, leider auch einige Fernsehsender, sie alle ließen nichts unversucht, um die Versessenheit auch der kleinsten Anleger in klingende Münze oder werbewirksame Einschaltquoten umzuwandeln. Wer dabei nicht mitmachte, wurde in den populären Internetforen schnell als »alter Börsenfuzzi« belächelt, der halt die Welt nicht mehr verstand. Mit der Telebörse versuchte der Sender n-tv Schulter an Schulter mit einigen konservativen Börsenmagazinen und Fachzeitschriften immer wieder, gegen die Hysterie anzugehen. Ob wir alle dabei sehr erfolgreich waren, darf bezweifelt werden.
Mir ging dieses undifferenzierte Trommeln für die Aktienanlage erheblich gegen den Strich. Zugegeben, ich selber profitierte von meiner wachsenden Popularität durch eine Unzahl von Vorträgen bei Kreditinstituten, Vermögensberatern und anderen Finanzdienstleistern. Aber meine Kommentare vom Parkett der Frankfurter Börse und auf den Vortragsveranstaltungen wurden immer skeptischer und frustrierter. Ich hatte die Telebörse vor Jahren aufgebaut, um den Boden zu bereiten für eine wohlüberlegte, langfristige
Weitere Kostenlose Bücher