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Greife nie in ein fallendes Messer

Greife nie in ein fallendes Messer

Titel: Greife nie in ein fallendes Messer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedhelm Busch
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Vermögensanlage mithilfe der Aktie. Aber offensichtlich zählte zur Jahrtausendwende ausschließlich das schnelle Geld. Mit einer fundierten Aktienkultur hatte diese Begeisterung nichts zu tun. Als mir ein Journalist der Zeit vorhielt, dieses Spektakel um die Aktie sei im Grunde für mich eine Niederlage, mochte ich ihm auch nicht widersprechen.
    |257| Während der 30-minütigen Fahrt zum Frankfurter Flughafen erzählte mir der Taxifahrer von seinem »Ausflug« in die schillernde Welt der Aktie. Ohne jeden Vorwurf in der Stimme, fast gleichmütig, so als ob ihn persönlich die leidige Geschichte gar nicht betroffen hätte.
    Aufgeheizt von den Erfolgsgeschichten seiner Kollegen und bestärkt von den Jubelgesängen der Journalisten, zu denen er auch mich zählte, hatte er seine Ersparnisse auf die Stars der Internet- und Kommunikationsbranche gesetzt. Angesichts unglaublicher Anfangsgewinne in seinem Depot habe er bereits mit dem Gedanken gespielt, seine Taxilizenz zu verkaufen und künftig nur noch sein Glück als Börsenspekulant zu versuchen. Mit Day-Trading jeden Tag ein paar 100 Euro Gewinn, warum sollte man dann noch als Taxifahrer arbeiten? Doch plötzlich seien über Nacht all seine schönen Buchgewinne zusammen mit dem Neuen Markt in den Abgrund gestürzt. Mit dem letzten Geld sei er meinem Rat gefolgt und habe die niedrig bewerteten, stockkonservativen Standardtitel gekauft. Aber auch damit habe er nur Pech gehabt. Nun sei er froh, wenigstens noch als Taxifahrer sein Geld verdienen zu können. Von Aktien wolle er nie wieder etwas hören. Auch die gegenwärtigen Kursgewinne seien doch nur ein fauler Zauber.
    Ich wurde auf meinem Sitz im Fond des Wagens ganz klein. Argumente zu meiner Verteidigung und positive Analysen sowie Ratschläge zur aktuellen Börsensituation hätte ich in genügender Zahl auf Lager gehabt. Doch ich konnte seine Enttäuschung verstehen, und im Grunde fühlte ich mich mitschuldig an seiner Misere.
    Mit meiner grundsätzlichen Begeisterung für die Aktienanlage hatte ich offensichtlich auch Zuschauer angesteckt, die sich schon wegen ihrer mangelnden Finanzreserven auf keinen Fall für Aktien interessieren durften – erst recht nicht für hochspekulative Werte, wie sie am Neuen Markt herumgereicht wurden. Selbst konservative Standardwerte aus der Chemie, dem Maschinenbau oder beispielsweise aus dem Finanzbereich bieten keinen hundertprozentigen Schutz vor zeitweiligen oder auch dauernden Verlusten. Ihr Einbruch nach dem Platzen der Hightech-Blase hatte mich selbst überrascht, waren doch diese Aktien von der Hightech-Euphorie bis auf wenige |258| Ausnahmen verschont geblieben. Die Unternehmen, die sie ausgegeben hatten, waren weder überwertet, noch standen sie vor der Pleite. Im Gegenteil, ihre Geschäfte liefen gut, unabhängig vom Börsendesaster der New-Economy-Branchen. Trotzdem waren sie mit in den Sog nach unten geraten. Vermutlich, so die Meinung einiger meiner Gesprächspartner, waren große Investoren von ihren Depotbanken gezwungen worden, in erheblichem Umfang auch ihre Standardwerte zu verkaufen, um die Verluste, die sie mit Hightech-Aktien eingefahren hatten, auszugleichen.
    Wer einen genügend langen Atem hat, ist gut beraten, in einer derartigen Situation Ruhe zu bewahren und an Standardtiteln festzuhalten. In diesem Fall wäre es die richtige Entscheidung gewesen, wie sich zwei, drei Jahre später erwies. Der Taxifahrer aber hatte eben keinen ausreichend langen Atem gehabt.
    Seine eigene Schuld, könnte man leichthin sagen und bedauernd die Schultern zucken. Warum hatte er nicht auf die ständigen Ermahnungen gehört, nur den Teil seines Geldes für Aktien einzusetzen, den er weder fürs tägliche Leben noch für mögliche Notfälle brauchte.
    Auch ich hatte im Laufe der Jahre immer wieder davor gewarnt, mit den letzten Finanzreserven an die Börse zu gehen, doch offensichtlich nicht häufig und nicht eindringlich genug. Wer fragt denn tatsächlich seinen Arzt oder Apotheker, wenn das Medikament von jedem Freund und Bekannten empfohlen wird? Wo die Begeisterung überschäumt, bleiben Warnungen meistens ungehört.
    Die Verantwortung für den hysterischen Aufstieg und den katastrophalen Fall der New Economy trugen alle: Unternehmer, Bank- und Anlagenberater, die Anleger selber, aber auch – und nicht zuletzt – wir Journalisten.
     
    Wenige Wochen nach diesem Wiedersehen mit dem Taxifahrer bat mich die niederländische ABN AMRO Bank, im kommenden Jahr als Referent an

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