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Greife nie in ein fallendes Messer

Greife nie in ein fallendes Messer

Titel: Greife nie in ein fallendes Messer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedhelm Busch
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einem Engagement am Neuen Markt konsequent zu Eigen gemacht hatte, der hatte bis zum Höhepunkt der New-Economy-Hysterie unvorstellbare Gewinne verpasst. Dass er folglich nach dem Platzen der Blase auch nicht zu den enttäuschten Beinahe-Millionären gehörte, die im |261| schlimmsten Fall auch noch ihre Finanzreserven verloren hatten, mochte ihn vielleicht ein wenig getröstet haben. Aber wenn er nicht auf mich gehört, also gekauft hätte und rechtzeitig ausgestiegen wäre …?
    An der Börse kommt es halt nicht darauf an, Recht zu haben, man muss auch Recht bekommen, so eine alte und eher deprimierende Börsenerkenntnis. Mit anderen Worten: Das Timing ist entscheidend für Kauf und Verkauf, und sonst nichts!
    Sicher, auf lange Sicht kommt auch die verrückteste Börse nicht vorbei an der wirtschaftlichen Logik. Doch nicht jeder Anleger hat die Luft oder die Lust, so lange zu warten, bis sich die Kurse von hysterischen Panikattacken erholt haben. Und nicht immer sind alle Hintergrundinformationen, die für eine korrekte Analyse benötigt werden, rechtzeitig verfügbar. Sachkenntnisse und logisches Denken können leichter Hand durch übergeordnete Interessen, Verschleierung oder gar Betrug ausgehebelt und in eine falsche Richtung gelenkt werden. Jedem »So ist es« sollte ein »Ist es wirklich so?« folgen. Das war die Botschaft, die mir der unglückliche Taxifahrer mit auf den Weg gegeben hatte.
    Meine Selbstsicherheit hatte unter dieser Botschaft schon ein wenig gelitten. Auf der anderen Seite aber schien mir eine Meinungsäußerung wenig sinnvoll, wenn ich sie stets sofort wieder infrage stellen würde. Wollte ich also weiterhin als Börsenkommentator arbeiten, musste ich die Möglichkeit akzeptieren, mit meiner Meinung auch einmal schiefzuliegen, in der Hoffnung, dass dies auch vom Zuhörer so verstanden würde.
    Zum Jahreswechsel 2005/06 war es aber äußerst schwierig, überhaupt einen Trend an den Weltbörsen auszumachen, der sich mit fundamentalen Argumenten begründen ließ. Die Signale von der Wall Street sprachen keine eindeutige Sprache, ganz zu schweigen von der deutschen Börse.
     
    In den USA dauerte der Boom an den Aktienbörsen nun schon seit dem 9. Oktober 2002 an, also schon seit mehr als drei Jahren, und der DOW lag bei 11 000 Punkten, das heißt nur noch geringfügig unter seinem Höchstwert, den er zur Jahreswende 1999/2000 erreicht |262| hatte. Dagegen war der DAX mit rund 4000 Punkten noch fast 50 Prozent von seinem höchsten Stand vom März 2000 entfernt, als er bei 8 064 Punkten gelegen hatte. Das war zwar noch ein deutlicher Abstand zu den Vorgaben aus den USA, aber auch an der deutschen Aktienbörse kannten die Kurse offenkundig nur den Weg nach oben. Immerhin hatte sich der DAX seit seinem tiefsten Stand im März 2003 mit 2202 bis jetzt verdoppelt. Hundert Prozent in drei Jahren, das konnte sich doch sehen lassen!
    Leider begeisterten sich im Jahr 2005 vorwiegend die amerikanischen Anleger für den deutschen Markt, die einheimischen blieben bei ihrem trotzigen Liebesentzug. Angesichts der Verschuldung der amerikanischen Konsumenten, vom amerikanischen »Zwillingsdefizit« gar nicht zu reden, sei der Zusammenbruch der US-Wirtschaft nur noch eine Frage der Zeit. Spätestens bei einem deutlichen Anstieg des Ölpreises fiele das Strohfeuer in den USA in sich zusammen. Dann wäre die verdiente Quittung für die verantwortungslose Politik dieses unsäglichen Georg W. Bush fällig. So tönte Tag für Tag die europäische Gebetsmühle vor allem in Deutschland. Am Ende würden, auch das war Konsens an allen deutschen Börsenstammtischen, die deutschen Unternehmen alles ausbaden. Nach wie vor musste die Konjunkturlokomotive USA die gesamte Weltwirtschaft ziehen, und das brachte deutsche Firmen in eine besonders missliche Situation, war doch die deutsche Wirtschaft extrem abhängig vom Export, weil die Verbraucher auf dem eigenen Binnenmarkt die Taschen ängstlich verschlossen hielten.
    Kein Wunder, dass die meisten Privatanleger hierzulande Aktien mieden wie der Teufel das Weihwasser. Warum sie dann allerdings mit ungebrochenem Elan auf Zertifikate setzten, war mir wiederum ein Rätsel.
    Wie mir Heiko Thieme, mein Kollege und Gesprächspartner noch aus der Gründerzeit der Telebörse , bei unseren sporadischen Treffen in Deutschland übermittelte, stellte sich das Bild aus amerikanischer Sicht ganz anders da. »In Amerika ist alles Walzer«, verkündete Heiko Thieme ungebeugt und unerschrocken.

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