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Greife nie in ein fallendes Messer

Greife nie in ein fallendes Messer

Titel: Greife nie in ein fallendes Messer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedhelm Busch
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würde, ahnte damals niemand auf dem Parkett. Auch nicht, dass der tatsächlich konkursreife kommunistische Ostblock über Jahre hinweg als liquider Abnehmer westlicher Produkte gänzlich ausfallen würde.
    Bis in den Sommer 1990 ließen sich die Amerikaner und die Japaner in ihrer Deutschland-Euphorie nicht beirren und kauften unaufhörlich die »Deutschland AG«. Die Blue Chips, also die großen Standardwerte wie Siemens, Deutsche Bank, Daimler, VW, Thyssen, Bayer oder Allianz, diese Perlen der deutschen Wirtschaft standen ganz oben auf den Einkaufszetteln der Ausländer.
    |55| Und was machten die deutschen Anleger? Im Grunde nichts! Lange Zeit quälten sie sich mit ihren Ängsten über die möglichen Folgen der deutschen Einheit und bestaunten ungläubig die Kursgewinne am deutschen Aktienmarkt. Sahen denn die ausländischen Anleger nicht die schier unüberwindlichen Finanzbarrieren, vor denen die Optimisten scheitern mussten? Ahnten sie nichts von den kommenden Preis- und Zinsexplosionen in Deutschland?
    Für mich brachte diese Zeit eine deprimierende Erkenntnis: Während die deutschen Anleger wie hypnotisiert auf die tatsächlichen und vermeintlichen Risiken der deutschen Einheit starrten und die Aktien deutscher Unternehmen links liegen ließen, setzten ausländische Anleger auf die langfristigen Chancen, die sich der deutschen Wirtschaft nicht nur durch die Wiedervereinigung zwangsläufig bieten würden. Neben Amerika und Asien würde es bald einen dritten großen Markt geben: Europa. Von einem gemeinsamen europäischen Markt mit mehr als 300 Millionen Verbrauchern, wie er in diesen Tagen vor allem von Frankreich und Deutschland als Vision für das Jahr 1993 in den Himmel gemalt worden war, würden in erster Linie die großen, erfolgreichen deutschen Industriekonzerne und Banken profitieren. In diesem geeinten Europa würde zukünftig das vereinte Deutschland liegen, nicht mehr als risikobelasteter Frontstaat, sondern als Herzstück, mitten drin, wie ein Filetstück.
    Wer also langfristig dachte, der kam an deutschen Aktien gar nicht vorbei. Diese Botschaft versuchte ich täglich den Zuschauern der Telebörse zu vermitteln, ohne sonderlichen Erfolg. Bei aller Begeisterung über die steigenden Kurse war eines nicht zu übersehen: Der deutsche Börsenzug rollte unter Volldampf aus dem Bahnhof, aber in den Abteilen saßen überwiegend Ausländer. Die meisten deutschen Anleger standen verwirrt und skeptisch an den Gleisen und sahen den DAX vorbeifahren. Einige von ihnen waren bei steigenden Kursen gerade noch auf den fahrenden Zug gesprungen, aber ich war mir nicht sicher, ob sie nicht beim nächsten Halt wieder abspringen würden. Zu groß war die Skepsis der Deutschen im Hinblick auf die Folgen der Wiedervereinigung, täglich aufgefrischt durch die Berichte und Kommentare in ihren Massenmedien.
    |56| Und dieser Stopp, mitten auf der Strecke, sollte schneller als erwartet kommen. Ende Juli bildeten sich über den Börsen im Ausland einige Gewitterwolken. So drohte in Japan das Regierungsschiff in politischen und wirtschaftlichen Untiefen zu stranden. Aus der Sicht der Amerikaner hatten die Japaner in jüngster Zeit zu erfolgreich versucht, durch eine restriktive Einfuhrpolitik die Importe aus Amerika zu behindern. Durch einen schwachen Yen gegenüber dem US-Dollar waren zudem die Handelsüberschüsse der japanischen Wirtschaft drastisch gestiegen und die amerikanischen Exporte nach Japan deutlich gefallen. Explodierende Grundstückspreise in Tokio und atemberaubende Kursgewinne an der Tokioter Börse hatten zwar schon zu Beginn des Jahres manchem älteren Börsianer in Frankfurt die Stimme verschlagen, aber dem Vertrauen in die japanischen Finanzmärkte letztlich nicht geschadet. Die Finanzkraft der Japaner schien unerschöpflich zu sein. Luxushotels auf Hawaii, kostbare Gemälde von van Gogh, amerikanische Bonds oder die besten Aktien aus aller Welt, glücklicherweise auch aus Deutschland, alles landete in japanischen Händen. Auf Kredit gekauft, die niedrigen Zinsen in Japan machten es möglich.
    Ohne die massive Nachfrage japanischer Anleger nach amerikanischen Bonds wären die amerikanischen Zinsen längst stärker gestiegen, als es der angeschlagenen US-Wirtschaft lieb sein konnte. Auf diesen Umstand verwies die japanische Wirtschaft immer wieder, wenn die amerikanischen Beschwerden überhand nahmen. Doch plötzlich beendeten die politischen Querelen zwischen Japan und den USA mit ungeahnter Heftigkeit diese

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