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Greife nie in ein fallendes Messer

Greife nie in ein fallendes Messer

Titel: Greife nie in ein fallendes Messer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedhelm Busch
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zielen in die falsche Richtung«, habe er gesagt. Selbst den internationalen Spekulanten an den Warenterminmärkten, denen sonst keine noch so skurrile Geschichte für hektische Kursbewegungen zu schade ist, selbst diese mochten dieser Traumdeuterei nicht folgen. Der Preis für Rohöl zog schon am nächsten Tag wieder an, auf mehr als 31 US-Dollar pro Barrel. Und als neue Gerüchte die Runde machten, der amerikanische Präsident habe Saddam ein neues Ultimatum für den Rückzug aus Kuwait gesetzt und gleichzeitig in Londoner Krankenhäusern für Mitte November Betten reservieren lassen, ahnten wir alle, dass sich der Golfkonflikt seiner entscheidenden Phase näherte.
    |71| Meldungen und Gerüchte überschlugen sich. US-Verteidigungsminister Cheney mache sich auf den Weg nach Saudi-Arabien, um die amerikanischen Truppen zu besuchen, Saddam Hussein lasse seine gefürchteten Spezialeinheiten den Häuserkampf in Kuwait üben. Also, so unsere Meinung auf dem Börsenparkett, werde in den nächsten Tagen geschossen. Statt dessen aber erklärten die Amerikaner, sie würden weitere 100 000 Mann an den Golf schicken, das aber bedeutete, so unsere korrigierte Analyse, der Konflikt werde noch lange schwelen.
     
    In der Zwischenzeit hatten sich die meisten Börsianer in Frankfurt schon längst vom ökonomischen Analysten zum militärischen Strategen gemausert, und die ständigen Presseberichte in den Zeitungen und in den Massenmedien taten ein Übriges. Der Golfkonflikt wurde allmählich zum Dauerthema und damit langsam, aber sicher uninteressant für die Börse. Irgendwie werde man sich schon mit dem irakischen Diktator arrangieren, hieß es. Von den überfallenen Kuwaitern war kaum noch die Rede. Die Ankündigung Saddam Husseins, ausländische Geiseln, die er zum Schutz gegen amerikanische Angriffe im Irak festhielt, würden zu Weihnachten freigelassen, deutete nun wieder auf eine »friedliche« Lösung des Konflikts hin und wurde in der Presse auch so kommentiert. Sollte allerdings bis kurz vor dem Ablauf des Ultimatums im Januar nächsten Jahres immer noch keine gewaltfreie Regelung zwischen der UNO und dem Irak in Sicht sein, würde das Zittern wieder einsetzen. Bis dahin aber hatten die Finanzmärkte noch eine Schonfrist. Vielleicht würde ja alles wieder ins Lot kommen.
    Der Ölpreis sank, und bei meinen Interviewpartnern in der Telebörse mehrten sich die Hoffnungen auf sinkende Zinsen in Deutschland und einen steigenden US-Dollar. Kein Wunder, dass wir in Frankfurt zu einer Jahresendrallye starteten. Vor allem die Erwartungen, der US-Dollar werde sich bald aus seiner Krise befreien können, trieben die Kurse nach oben, denn bei einem Preis von 1,4705 D-Mark für den US-Dollar war die exportorientierte deutsche Industrie schwer ins Schleudern geraten. Die Schwäche der amerikanischen Konjunktur und die straffe Zinspolitik der deutschen |72| Bundesbank hatten, gefolgt von einem schwachen US-Dollar, den deutschen Aktien wahrscheinlich mehr Schaden zugefügt als das permanente Gerede über die Golfregion. Nur hatten wir diese fundamentalen Erkenntnisse, die nach meiner Erfahrung am meisten über die langfristige Richtung der Börse aussagen, angesichts der endlosen Golfkrise in den Hintergrund gedrängt. Die ersten Anzeichen einer Verbesserung dieser wichtigen ökonomischen Rahmendaten und die Gewöhnung an das irakische Katz-und-Maus-Spiel stellten gegen Ende des Jahres die alte Kleiderordnung wieder her.
    Doch die freudige Erwartung einer Jahresendrallye bei einem allmählichen Dahinsiechen des Golfkonflikts war verfrüht. Hartnäckig bestand der amerikanische Präsident auf einem Rückzug der Iraker aus dem besetzten Kuwait. Wenn nicht anders möglich, müsse der UNO-Sicherheitsrat ein militärisches Eingreifen gegen Saddam Hussein genehmigen. In Deutschland dagegen mehrten sich die Stimmen, die immer noch einen Versuch wagen wollten, Saddam Hussein durch weitere Verhandlungen zum Rückzug zu bewegen. Im Sicherheitsrat setzten sich, wie von den meisten Börsianern erwartet, die Amerikaner durch. Als endgültige Frist für den Rückzug wurde der 15. Januar 1991 festgesetzt.
    Die verbleibenden Wochen nutzte Saddam Hussein in gewohnter Manier. Wie beim Hochseeangeln versuchte er, durch wechselndes Anziehen und Lockern der Fangleine seine Gegner zu ermüden. Und die internationalen Finanzmärkte gingen auf sein Spiel ein. Auf die Meldung, der Irak werde sämtliche Geiseln freigeben, feierte die Börse in Frankfurt die

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