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Greife nie in ein fallendes Messer

Greife nie in ein fallendes Messer

Titel: Greife nie in ein fallendes Messer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedhelm Busch
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Bundesländer der westdeutschen Wirtschaft bescheren werde, und wenn, dann nur, um auf den inflationären Schub aufmerksam zu machen, der daraus entstehen würde.
    Angst und Bangen der Deutschen prägten zur Jahreswende also das Bild, das sich die erstaunten Ausländer von einem Deutschland machten, das gerade dabei war, in eine neue, wiedervereinigte Zukunft aufzubrechen. »Die Deutschen sind Weltmeister im Jammern«, diesen altbekannten Satz hörte ich Ende 1990 immer wieder. Mit verärgertem Unterton, denn in den USA, in Japan und bei unseren europäischen Nachbarn hätte es durchaus gewichtigere Gründe gegeben, über die wirtschaftliche Situation zu lamentieren. Kein |75| Wunder, dass nicht nur die ausländischen Anleger, sondern auch die großen inländischen Anleger, die Fonds oder Versicherungen, den deutschen Aktienmarkt mit Argwohn beobachteten.
    Als ob die deutsche Börse unter diesen Verstimmungen nicht schon genug zu leiden gehabt hätte, meldete sich Ende Dezember ein alter, fast vergessener Störenfried wieder zurück, die Sowjetunion.
     
    Der Rücktritt des sowjetischen Außenministers Eduard Schewardnadse tauchte plötzlich einen Politiker in ein grelles Licht, den nicht nur wir in Deutschland als den Übervater der Wiedervereinigung feierten und verehrten: Michail Gorbatschow. Hatte er doch mit seiner Perestroika, mit der Demokratisierung und Öffnung der Sowjetunion die Voraussetzungen für den Zusammenbruch der kommunistischen DDR sowie das Ende des atomaren Wettrüstens und des Kalten Krieges geschaffen.
    Diese Begeisterung, die die Lichtgestalt Gorbatschow im Ausland auslöste, fand in der Sowjetunion selbst nur einen geringen Widerhall. Dass jetzt aber ausgerechnet sein Außenminister das Handtuch warf, gab auch den westlichen Beobachtern zu denken. Erste Risse tauchten auf in diesem strahlenden Bild, das wir uns von Gorbatschow gemacht hatten.
    Drohte da im Osten neues Ungemach? Vorsichtshalber zogen sich die Anleger von der deutschen Börse zurück. Der DAX stürzte am 20. Dezember um fast 50 Punkte auf 1 409 ab (vgl. Abbildung 1).
    Das alte Jahr verabschiedete sich mit düsteren Vorahnungen. Die Wiedervereinigungseuphorie, die den DAX mit japanischer und amerikanischer Hilfe zwölf Monate zuvor in ungeahnte Rekordhöhen bis auf einen Stand von 2 000 getragen hatte, war längst kleinmütigen Zweifeln gewichen. Der Ablauf des Ultimatums für einen Rückzug der Iraker aus Kuwait am 15. Januar, dazu neue Unsicherheiten in der Sowjetunion, das alles zusammen war zu viel für deutsche Gemüter. Hinweise aus Amerika auf mögliche Zinssenkungen und steigende Kurse an den US-Bondmärkten mit entsprechenden positiven Signalwirkungen für die deutschen Renten- und Aktienmärkte oder relativ niedrige Ölpreise bei 25 US-Dollar pro Barrel, nichts davon vermochte uns für das kommende Jahr optimistisch zu stimmen.
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    Abbildung 1: Deutscher Aktienindex (DAX), Entwicklung vom 1. 1. 1990 bis zum 31. 12. 1990
    Deswegen überraschte es auch niemanden, dass der DAX so in das neue Jahr startete, wie er sich vom alten verabschiedet hatte, das heißt, mit sinkenden Kursen. Kurze Zuversicht flackerte auf, als eine französische Nachrichtenagentur ein amerikanisches Angebot an den Irak zu Gesprächen in der Schweiz meldete. Offensichtlich hatte die japanische Regierung einen letzten Versuch unternommen, die USA und den Irak an einen Tisch zu bringen. Verständlich, dass gerade die Japaner einem Ablauf des Ultimatums am 15. Januar mit Sorge entgegensahen, waren sie doch als rohstoffarmes Land auf die Rohöllieferungen aus der Golfregion so sehr angewiesen wie kein anderes Land.
    Als es am 9. Januar in Genf zu einem Treffen der beiden Außenminister kam, wussten wir alle im Börsensaal: Jetzt würde sich der Daumen senken oder heben, Krieg oder Frieden. Da war sie wieder, die alte Nervosität.
    Kurz vor Schluss der Börsensitzung ertönt plötzlich ein lautes Geschrei auf dem Parkett. Steigende Kurse bei den Aktien, der Ölpreis fällt, alles ohne ersichtlichen Grund. Zumindest kann ich auf |77| meinem Bildschirm keinen Hinweis auf irgendein wichtiges Ereignis finden. Auch die Kollegen in der Redaktion können mir nicht mit Informationen helfen, die den unerwarteten Kursanstieg erklären. Erst als mir ein atemloser Händler im Vorbeilaufen zuruft, dass die Verhandlungen in Genf unterbrochen worden seien, kann ich leidlich die Überlegungen auf dem Parkett nachvollziehen: Wer Verhandlungen zu internen

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